Alle 40 Sekunden ein Suizid

Genf · Ein WHO-Bericht mit erschreckenden Fakten: Durch Suizide sterben weltweit mehr Menschen als durch Kriege oder Hungersnöte. Männer, Frauen und sogar Kinder sind betroffen. Mehr Hilfe sei dringend nötig, fordern Experten.

Nur Stunden nach dem Tod von Hollywoodstar Robin Williams schickte der Diplom-Psychologe Georg Fiedler vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf eine E-Mail an Medienredaktionen. "Vermeiden Sie es, die Methode des Suizids detailliert zu beschreiben", bat er. Solche Appelle sendet der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Suizid-Prävention (DGS) immer wieder, wenn bekannt wird, dass ein Prominenter sich das Leben nahm. Denn Suizid-Berichte mit Schilderungen des Hergangs erhöhen das Risiko von Nachahmung. Davor warnt auch der gestern veröffentlichte, bislang umfangreichste Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Suizid-Prävention.

Die Experten wissen, dass immer wieder gefährdete Menschen den Suizid geachteter Persönlichkeiten zum Anlass nehmen, selbst den letzten Schritt zu gehen und dabei oft die Methode kopieren. Allerdings sieht auch die WHO in Sensationsberichten längst nicht die einzige Ursache für die weltweit hohe Zahl von Selbsttötungen. Sie gehörten aber zu jenen Risikofaktoren, die als vermeidbar gelten, heißt es in dem Bericht.

Wie dringend nötig es ist, Menschen dabei zu helfen, ein Vorhaben der Selbsttötung aufzugeben, macht die WHO mit ihrer Suizid-Statistik deutlich: 804 000 Selbsttötungen weist das Zahlenwerk allein für das Jahr 2012 aus. Alle 40 Sekunden töte sich irgendwo auf der Welt ein Mann, eine Frau oder - wenn auch seltener - ein Kind.

Durch Suizide sterben jedes Jahr weit mehr Menschen als durch Kriege oder Hungersnöte . Selbsttötungen sind im weltweiten Durchschnitt die Ursache bei 50 Prozent aller gewaltsamen Todesfälle von Männern, bei Frauen sogar bei 71 Prozent. Nicht weniger beunruhigend: Suizid ist global die zweithäufigste Todesursache von 15- bis 29-Jährigen.

Die WHO fordert unter anderem, die Verfügbarkeit von Waffen und potenziell tödlichen Medikamenten einzuschränken, die in etlichen Ländern viel zu einfach zu bekommen seien. Zu den vermeidbaren gesellschaftlichen Ursachen gehöre vor allem die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen mit psychischen und/oder Sucht-Problemen. Selbsttötungen vorzubeugen sei eine komplexe Aufgabe, bei der alle Bereiche der Gesellschaft zusammenwirken müssten - das Gesundheitswesen ebenso wie Schulen, Justiz, Wirtschaft und auch Medien, erklärte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan.

"Jeder Suizid ist eine Tragödie", sagte sie zur Veröffentlichung des Berichtes im Vorfeld des Welttages der Suizidprävention am 10. September. Leider gebe es aber bisher in nur 28 Staaten nationale Programme zur Suizidprävention. Dabei hätten alle 194 WHO-Mitgliedstaaten einem Aktionsplan zugestimmt, der die Reduzierung von Selbsttötungen um zehn Prozent bis zum Jahr 2020 zum Ziel hat.

Dafür setzen sich in der Bundesrepublik Mediziner, Psychologen und weitere Fachleute, aber auch hilfsbereite Laien der Gesellschaft DGS sowie des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland (NaSPro) ein - eine Initiative, in der sich mehr als 90 Institutionen, Organisationen und Verbände zusammengeschlossen haben.

Die Herausforderung, der sie sich stellen, ist gewaltig, wie das WHO-Zahlenwerk auf Seite 82 unter "Germany" ausweist: Rund 10 000 Menschen nehmen sich jedes Jahr in Deutschland das Leben. 2012 waren es 8124 Männer und 2621 Frauen . "Es sterben in Deutschland mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten, illegale Drogen und Aids zusammen", so die DGS.

Auf scharfe Kritik stoßen bei der DGS Forderungen, eine Sterbehilfe nach Schweizer Vorbild zu erlauben. Damit zu argumentieren, dass 70 Prozent der Deutschen für solche Möglichkeiten seien, halte er für äußerst fragwürdig, sagte der NaSPro-Vorsitzende Professor Armin Schmidke. Dies könne auch daran liegen, dass die Möglichkeiten einer palliativmedizinischen, leidensmindernden Sterbebegleitung nicht genügend bekannt seien.

"Nur äußerst wenige der 10 000 Suizide in Deutschland werden von schwer erkrankten, sterbenden Menschen verübt", erklärte Schmidke. Zudem sei es eine falsche Annahme, dass aufsehenerregende Suizide wie auf Bahngleisen oder durch Stürze von Brücken durch Angebote für einen assistierten Suizid zu verhindern seien. Therapie und Prävention müssten immer den Vorrang haben. Eine "gewerbsmäßige Suizidbeihilfe" dürfe in Deutschland nie zugelassen werden, so Schmiedke.

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