Affäre Edathy wird zum Polit-Krimi

Berlin · Offenbar weiß die SPD bereits seit Oktober von den Ermittlungen gegen ihren damaligen innenpolitischen Sprecher Sebastian Edathy. Informiert hat sie wohl Hans-Peter Friedrich (CSU), damals Innenminister.

Es ist Pressemitteilung Nr. 48 der SPD-Fraktion im laufenden Jahr. Am gestrigen Donnerstag um 11.45 Uhr wird sie verschickt und trägt den Titel "Thomas Oppermann zu Sebastian Edathy". Der Inhalt ist etwas brisanter als übliche Mitteilungen der Fraktion. Mit einem Schlag wird aus dem verworrenen Fall um den langjährigen Bundestagsabgeordneten Edathy, der selbst Kinderpornografie-Vorwürfe bestreitet, eine Affäre, die die Unabhängigkeit der Justiz infrage stellt. Und Fragen über das Verhalten von SPD-Spitze wie Bundesregierung aufwirft.

Es war Ende Oktober: Union und SPD näherten sich gerade an, um eine Koalition zu schmieden. Auch Ideen über mögliche Postenverteilungen dürften damals schon manchem im Kopf herumgeschwirrt sein. Wohl am Rande dieser Gespräche informierte der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) SPD-Chef Sigmar Gabriel, dass bei Ermittlungen im Ausland der Name von Edathy aufgetaucht sei. Das ist der Inhalt von Mitteilung 48.

Sie ist für Oppermann nicht nur deshalb problematisch, weil er wie auch Parteichef Gabriel und Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht noch am Dienstag steif und fest behauptet hatten, vor den Durchsuchungen vom Wochenanfang nichts gewusst zu haben. Nun steht der Verdacht im Raum, dass einer aus der SPD-Spitze - informiert waren neben Gabriel, Lambrecht und Oppermann auch der damalige Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier - den Verdächtigen informiert haben könnte. Oppermann wies das zurück, doch wären er und die anderen Genossen nicht einmal zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen, waren sie damals doch keine Amtspersonen.

Auf irgendeinem Weg muss Edathy gleichwohl von den Ermittlungen erfahren haben. Seit Anfang Januar wurde er im Bundestag nicht mehr gesehen und am letzten Freitag, kurz vor den Durchsuchungen in seinen Büros und Wohnungen in Niedersachsen, legte er "aus gesundheitlichen Gründen" plötzlich sein Mandat nieder. Auf den Computern, die die Fahnder bei den Durchsuchungen fanden, waren kaum brauchbare Spuren zu finden, wurde gestern übereinstimmend von mehreren Medien unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft berichtet. Demnach stellten die Ermittler aber fest, dass Festplatten manipuliert oder unbrauchbar gemacht worden waren. "Das stinkt zum Himmel, er hat sich generalstabsmäßig vorbereitet", zitierte ein deutsches Boulevardblatt einen Beamten.

Deshalb geriet gestern zunehmend der frühere Innen- und jetzige Agrarminister Friedrich ins Schussfeld. Die Grünen forderte eine Aufklärung über die Informationsweitergabe an die SPD, FDP-Vize Wolfgang Kubicki gar ein Ermittlungsverfahren gegen den CSU-Minister. Und mit Schleswig-Holsteins Innenminister Andreas Breitner meldete sich gar ein Minister des Berliner Koalitionspartners SPD zu Wort. Friedrich sei "völlig untragbar", meinte Breitner. Und zwar egal in welcher Funktion. Der Angegriffene wehrte sich mit der Begründung, wegen der "politischen Dimension" des Falles habe er mit SPD-Chef Gabriel gesprochen. Einen Nebenkriegsschauplatz gibt es, weil Oppermann behauptete, er habe sich vom Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, im Oktober eine Bestätigung der Informationen Friedrichs geholt. Ziercke dementierte dies umgehend und dürfte nun einen politischen Gegner mehr in Berlin haben.

Angeblich kam das Verfahren gegen Edathy nach dem Auffliegen eines Kinderporno-Ringes in Kanada in Gang. Edathy soll dort auf Bestelllisten gestanden haben. Allerdings soll es sich um Material handeln, auf dem Kinder zwar nackt gezeigt werden, jedoch nicht sexuelle Handlungen mit oder vor ihnen vorgenommen werden. Das ist dann nicht strafbar, wenn bei der Abbildung die Sexualorgane nicht in den Vordergrund gerückt werden. Ein sächsischer NPD-Abgeordneter war 2009 in einem ähnlichen Fall nicht belangt worden. Nach Informationen aus Kanada gehören zu dem dortigen Ermittlungskomplex Filme und Fotos, die ein vorbestrafter Deutscher bis 2009 in Rumänien gemacht haben soll.

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HintergrundAls Sebastian Edathy (44) am vergangenen Wochenende bekannt gab, aus gesundheitlichen Gründen nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat niederzulegen, machten sich viele Gedanken über eine schwere Krankheit. Mittlerweile steht Edathy im Mittelpunkt einer undurchsichtigen Affäre und wird verdächtigt, Kinderpornografie besessen zu haben. Am Mittwoch kritisierte er bei "Spiegel Online" die gegen ihn ermittelnde Staatsanwaltschaft Hannover. Deren Vorgehen stehe "im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen".Wo sich der SPD-Politiker derzeit aufhält, ist unklar - in der SPD wähnt man ihn in Dänemark. Edathy war bundesweit bekannt geworden durch den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags: Als Vorsitzender des Gremiums zu den Morden der rechtsextremen Terrorgruppe erwarb er sich im vergangenen Jahr parteiübergreifend Ansehen. dpa

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