Langsame Annäherung an die Realität Rolle rückwärts beim Atom-Ausstieg sorgt für ÄrgerUnion und FDP sind sich einig: Lohnnebenkosten sollen nicht steigenCDU: Keine Einschränkung der Mitbestimmung

Berlin

Berlin. Steffen Kampeter, Haushaltspolitiker der Unions-Fraktion und bekennender Witzbold, war gestern der Einzige, der aus der Koalitionsarbeitsgruppe zu Steuern und Finanzen plauderte: "Wir haben es: Wir erheben eine Steuer auf jede Falschmeldung über die künftige Steuerpolitik, dann ist der Etat saniert", verkündete er den wartenden Journalisten, bevor er wieder in den Sitzungssaal der hessischen Landesvertretung verschwand. Selten so gelacht. Aber an diesem Scherz war sogar etwas Wahres dran. CDU, CSU und FDP suchen nämlich nicht mehr nur nach einem Konsens zu Steuersenkungen, sondern auch nach Wegen, das Schuldenloch zu schließen.

Es ist eine langsame Annäherung an die Realität. Bei der FDP hat man mittlerweile anerkannt, dass der Spielraum für Steuersenkungen wegen des sowieso schon vorhandenen Haushaltsdefizits und wegen der Schuldenbremse klein ist. "Das schränkt die Möglichkeiten für umfangreiche Steuerentlastungen ein", sagte selbst ihr Chef-Unterhändler Hermann Otto Solms. Aber ganz auf eine Steuersenkung verzichten wollen die Liberalen auf der anderen Seite auch nicht. Dazu haben sie sie im Wahlkampf zu fest versprochen. Parteichef Guido Westerwelle bekräftigte die Forderungen der Liberalen. Und sein Vize Andreas Pinkwart drohte, zur Not dauerten die Koalitionsverhandlungen eben länger als geplant.

Die meisten Beobachter erwarten nun, dass das Ergebnis eine eher kleine Steuersenkung sein wird. Und es wird erwartet, dass die Koalition einen Teil des Geldes sogleich wieder durch Kürzungen an anderer Stelle hereinholt. Dazu passte eine Äußerung von Kanzleramtsminister Tomas de Maizière gestern in einer Sitzungspause der von ihm mitgeleiteten Arbeitsgruppe: Der Umfang der Entlastungen hänge auch von den Ergebnissen der anderen Arbeitsgruppen ab, sagte der CDU-Mann. Ähnlich meinte FDP-Gegenüber Solms, der nötige Spielraum müsse woanders noch erarbeitet werden. "Es gibt nicht nur Mehrausgaben. Es muss auch Kürzungen geben", sagte auch der Hausherr, der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Nur wo?

Anregungen dazu lieferte gestern das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das der neuen schwarz-gelben Koalition dringend zu einem "Kurs des Maßhaltens" riet. Allein die Ausgabenerhöhungen der letzten Regierung erzeugten ein Haushaltsdefizit um 50 bis 75 Milliarden Euro jährlich, ganz unabhängig von der Krise, errechneten die Wissenschaftler. Da müsse man wieder an die Ausgaben ran, etwa die Rentengarantie zurücknehmen, und dürfe auch vor einer Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht zurückschrecken. Selbst eine Anhebung von vermögensbezogenen Steuern regte das Institut an. Der Staat brauche das Geld, um in Zukunftsaufgaben zu investieren, ganz besonders in die Bildung. Das war ganz auf einer Wellenlänge mit Verdi-Chef Frank Bsirske, der ebenfalls bei den Reichen zuschlagen will, um Geld für die Bildung locker zu machen. Steuern anheben aber wolle die Koalition erklärtermaßen nicht, jedenfalls nicht vor der wichtigen nordrhein-westfälischen Landtagswahl im nächsten Jahr. So rückten gestern Alternativen wie die Einführung einer Pkw-Maut in den Mittelpunkt der Debatte, dazu auch Subventionskürzungen, etwa erneut bei der Pendlerpauschale oder beim Diesel-Kraftstoff, wie das DIW vorschlug.

Erst am Wochenende werden wohl die verschiedenen Fäden zusammengebunden - wenn alle Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse den Parteispitzen vorlegen und diese in Klausur gehen, um daraus ein Paket zu schnüren. Eines, das den Haushalt nicht sprengt. Berlin. Die Lohnnebenkosten sollen nach dem Willen der Koalitionsarbeitsgruppe Gesundheit nicht weiter steigen. Bundesgesundheitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte am Rande der Verhandlungen der Arbeitsgruppe gestern, es bestehe Konsens zwischen Union und FDP, dass es keinen weiteren Anstieg der Lohnnebenkosten geben dürfen, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht weiter belastet werde. Beide Parteien betonten zudem, es gelte, in der Gesundheitspolitik eine Balance zwischen Solidarität und Eigenverantwortung zu finden. FDP-Verhandlungsführer Philipp Rösler forderte eine Neuordnung des Gesundheitssystems, weil es den bestehenden Problemen nicht gerecht werde. afp Berlin. In der künftigen Koalition von Union und FDP läuft nun anscheinend doch alles auf eine zeitlich unbegrenzte Laufzeit-Verlängerung für Atomkraftwerke hinaus. Das Abschalten dieser für viele wegen des ungewissen Risikos oder - wie zuletzt bei der Anlage in Krümmel - auch konkreter Pannen unheimlichen Anlagen wird hinausgeschoben. Auch diesmal sind etliche Rechtsfragen zu klären. So geht es eher um Forderungen der Branche der mittelständischen Erzeuger von Wind- und Sonnenstrom. Diese könnten sich auf die offiziellen Ausbauziele für erneuerbare Energien von 30 bis 40 Prozent Öko-Strom bis zum Jahr 2020 berufen - und Schadensersatz prüfen. Immerhin bekommen die "großen 4" Eon, RWE, Vattenfall und EnBW durch den Weiterbetrieb ihrer bisher längstens bis 2022 laufenden Anlagen einen fetten Zusatzprofit. Der schwankt je nach Rechnung derzeit zwischen etwa 25 bis 30 Milliarden und gigantischen 200 Milliarden Euro.Späte Hilfe an dieser Stelle bekommen die vielen mittelständischen Winderzeuger oder Sonnenenergie-Produzenten vom obersten Wettbewerbshüter. Am Stromerzeugungsmarkt herrsche ohnehin schon kein Wettbewerb. Da bewirkten Laufzeitverlängerungen sogar "das Gegenteil", sagte Bernhard Heitzer dem "Handelsblatt".

Inklusive Kohleverstromung stehen die vier Konzerne für 86 Prozent der Stromerzeugung. Den unabhängigen Energie-Erzeugern würde so "der Boden unter den Füßen weggezogen". Denen schwillt bereits der Kamm. "Der gesetzlich vereinbarte Atomausstieg war genau wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz eine wesentliche Grundlage für wegweisende unternehmerische Entscheidungen der letzten Jahre", teilt der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) mit. "Wenn diese gesetzliche Grundlage jetzt gekippt wird, untergräbt das den Vertrauensschutz für Unternehmen, die Milliarden in Erneuerbare Energien investiert haben", klagt BEE-Präsident Dietmar Schütz. "Diese Investitionen wurden unter der Voraussetzung getätigt, dass durch den Atomausstieg der Bedarf an Strom aus alternativen Quellen steigt", meint Schütz. "Fällt nun der Atomausstieg aus, verstopfen die Großkraftwerke die Netze und bremsen den Ausbau der Erneuerbaren Energien." dpa

Berlin. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat Medienberichten widersprochen, wonach eine künftige Bundesregierung von Union und FDP die betriebliche Mitbestimmung einschränken wolle. "Ich persönlich spreche mich gegen eine Veränderung bei der Mitbestimmung aus", sagte Pofalla gestern. Die "Bild"-Zeitung hatte unter Berufung auf die Arbeitsgruppe Wirtschaft gemeldet, dass künftig ein Betriebsrat erst in Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern gebildet werden solle. Derzeit ist dies ab fünf Mitarbeitern möglich. afp

Auf einen Blick

Heute tagen in Berlin die Arbeitsgruppen zu Arbeit/Soziales/Renten, Umwelt/Landwirtschaft/Verbraucherschutz, Außen/Verteidigung, Sicherheit/Justiz, Gesundheit, Wirtschaft und Bildung. Neben den Arbeitsgruppen trifft sich ab morgen auch die Große Koalitionsrunde bis zum Sonntag vier Mal. Am Dienstag, 27. Oktober, findet die Konstituierende Sitzung des 17. Bundestags statt.

Bis zum 3. November soll die schwarz-gelbe Bundesregierung spätestens vereidigt sein. dpa

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