Video-Überwachung Achtung, hier filmt die Polizei

Mannheim · Es ist ein viel beachtetes Pilotprojekt: Ein Computerprogramm soll künftig in Mannheim quasi selbstständig Kriminelle erkennen und Polizisten alarmieren. Bringt das tatsächlich mehr Sicherheit?

 Die Überwachung mit Kameras sorgt bundesweit immer wieder für Diskussionen. (Symbolbild)

Die Überwachung mit Kameras sorgt bundesweit immer wieder für Diskussionen. (Symbolbild)

Foto: dpa/Lukas Schulze

Das Auge des Gesetzes ist fest montiert und sieht alles. Taschendiebstahl, Schlägereien, Sachbeschädigung. Die Kriminalitätsrate in Mannheim sinkt, die Menschen fühlen sich sicherer. So könnte es kommen, wenn der Plan von Christian Specht aufgeht. Der Erste Bürgermeister und Sicherheitsdezernent der nordbadischen Stadt arbeitet zusammen mit Polizeipräsident Thomas Köber am Konzept „Mannheimer Weg 2.0“ – einem „intelligenten Kamerasystem“, das quasi selbstständig Straßenkriminalität erkennen und Polizisten alarmieren soll. Nach langer Planung steht der Start des Pilotprojekts bevor. Ab Juli soll es losgehen.

Mannheim wäre die erste Kommune Deutschlands mit einem solchen Programm. „Im Zeitalter der Digitalisierung müssen auch Optionen zur Verbesserung der Sicherheit im öffentlichen Raum mitgedacht werden“, meint Specht. Doch für Gegner des Systems klingt das nach Überwachungsstaat und „Big Brother“. Sie fürchten, dass der Staat unbescholtene Bürger bespitzeln und Bewegungsprofile erstellen könnte. Polizeipräsident Köber widerspricht vehement. Und auch Specht meint, dass sich nur Kriminelle fürchten müssen. „Es geht um das Erkennen atypischer Bewegungsmuster. Gesichtserkennung oder Tonaufnahmen finden definitiv nicht statt“, betont der CDU-Politiker. Wie lange die Mannheimer Polizei das Projekt aufrechterhalten will, sei offen. Ein Beamter weißt auf SZ-Anfrage darauf hin, dass ein vorheriges Pilotprojekt mit Videokameras etwa nach drei Jahren eingestellt worden sei. Man müsse auch beim „Mannheimer Weg 2.0“ überprüfen, ob an den kontrollierten Stellen überhaupt Bedarf nach mehr Sicherheit besteht.

Die Überwachung mit Kameras sorgt bundesweit immer wieder für Diskussionen. Besonders seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt vor gut einem Jahr mit zwölf Toten gibt es immer wieder Rufe nach einer verstärkten Beobachtung öffentlicher Plätze. In Berlin startete im vergangenen Sommer ein umstrittenes Pilotprojekt zur automatischen Gesichtserkennung durch Überwachungskameras am Bahnhof Südkreuz. Experten warnen aber vor einer Sammelwut. Und auch Köber meint: „Viel hilft nicht automatisch viel, wenn Sie nachher nicht dazu kommen, das ganze Material auszuwerten.“

Und so soll der „Mannheimer Weg 2.0“ funktionieren: 71 Kameras an 28 Standorten fangen Bilder ein und schicken sie verschlüsselt durch ein Glasfaserkabel zum Lagezentrum der Polizei. Dort wertet ein vom Fraunhofer-Institut in Karlsruhe entwickeltes Computerprogramm die Bilderströme elektronisch aus – und zwar mithilfe eines Algorithmus.

Erkennt die Software hektische oder untypische Bewegungen, etwa Schlagen, Rennen oder Fallen, blinkt eine Lampe auf, und ein Polizist schaut sich die Szene am Bildschirm an. Im Bedarfsfall soll dann eine Streife in gut zwei Minuten vor Ort sein. Ein Vorteil des Systems: Die Polizei muss nicht nonstop auf die Bildschirme blicken. „Es geht um das Erkennen von Bewegungsmustern“, sagt Köber. Das Polizeigesetz erlaubt Videoüberwachung nur an nachgewiesenen Kriminalitätsbrennpunkten. In Mannheim ist dies zunächst der Bahnhofsvorplatz, der Paradeplatz, der Marktplatz, die Breite Straße und der Alte Messplatz. Die Stadt hat durchaus Erfahrung: Von 2001 bis 2007 hatte die Kommune einige Plätze mit analoger Technik überwacht – mit Erfolg, wie Köber sagt. Auch deswegen steigt das Pilotprojekt in Mannheim. „Wir haben Routine und reden nicht wie der Blinde von der Farbe“, betont der Polizeichef.

„Wir haben die Öffentlichkeit von Anfang an informiert und werden absolut transparent arbeiten“, sagt Sicherheitsdezernent Specht. Aufnahmen erfolgen ohne Ton und sollen nach 72 Stunden gelöscht werden. Schilder würden auf die Überwachung hinweisen und möglicherweise bereits Kriminelle präventiv abschrecken. Specht hält die aktuell kalkulierten Kosten von insgesamt 1,1 Millionen Euro für gut investiertes Geld. „Andere Kommunen schauen mit Spannung auf dieses Pilotprojekt“, sagt der für Öffentliche Sicherheit und Finanzen zuständige Bürgermeister.

„Videoüberwachung ist ein Werkzeug von vielen“, meint Köber. „Die Kamera allein rettet es nicht.“ Ziel sei Polizeipräsenz vor Ort. „Ich will die Beamten auf der Straße – nicht vor dem Bildschirm.“ Die intelligente Software „lernt“ indes noch – sie wird nach der sterilen Phase im Labor derzeit anhand von Echtmaterial programmiert. „Dem System wird beigebracht, bei schädlichem Verhalten Alarm zu schlagen“, sagt Specht. Die neue Technik decke den öffentlichen Raum zuverlässiger ab. „Vieles klingt kompliziert“, sagt Köber, „aber die Message ist eigentlich ganz einfach: Einer schaut hin, und im Bedarfsfall tut der auch was.“

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