Achtung: Freund hört mit

Leben wir im Jahr 1984?“, fragte jüngst ein Blogger des „New Yorker“. Und traf damit exakt die Stimmung, kurz nachdem der 29-jährige amerikanische Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden durch seine Enthüllungen einen neuen Spionage-Skandal ins Rollen gebracht hatte.

George Orwells Roman "1984" über den Diktator Big Brother (Großer Bruder), der jeden Winkel seines Reiches Ozeanien kontrolliert, scheint über 60 Jahre nach seinem Debüt kein völliges Hirngespinst. Jedenfalls sind Befürchtungen einer ungezügelten Überwachungsmaschinerie angesichts der sich in wenigen Tagen überschlagenden neuen Nachrichten über Daten-Spionage nur allzu verständlich.

Einräumen müssen wir inzwischen allerdings auch: Die so genannten "bösen Buben" sind keineswegs nur die Amerikaner, die ihren mächtigen Geheimdienst NSA (National Security Agency) ungestört im Internet gigantische Mengen an Daten sammeln lassen. Auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) schürft tief im Netz und will die Überwachung nun noch massiv ausbauen - aller weltweiten Empörung über die amerikanische Datenspionage zum Trotz.

100 Millionen Euro will sich der BND die neuen Investitionen kosten lassen, schreibt der "Spiegel" in seiner jüngsten Ausgabe. Davon sollen dem Bericht zufolge bis zu 100 Stellen im Bereich "Technische Aufklärung" geschaffen und neue Rechnerkapazitäten finanziert werden. Damit will der Bundesnachrichtendienst nicht zuletzt auch dem internationalen Wettbewerb der Spionage standhalten.

Begründet wird die Aufrüstung bei der Überwachung hierzulande wie den USA mit der internationalen Terrorgefahr: NSA-Chef Keith Alexander spricht von "dutzenden Anschlägen", die in den USA und im Ausland vereitelt worden seien. So habe beispielsweise ein verheerender Anschlag auf die New Yorker U-Bahn im Jahr 2009 durch die Auswertung von Internet-Daten im so genannte "Prism"-Programm verhindert werden können.

Fragt sich nur: War es tatsächlich auch im Sinne westlicher Sicherheitsinteressen, dass der britische Geheimdienst GCHQ Teilnehmer des G20-Gipfels und eines damit verbundenen Finanzministertreffens im Jahr 2009 in großem Stil ausgespäht hat, wie gestern ans Licht kam? Wohl kaum, denn hier ging es offensichtlich einzig und allein darum, den Briten einen Informationsvorsprung bei den Verhandlungen zu verschaffen.

Den britischen Regierungschef David Cameron jedenfalls ereilt dieser Spionage-Skandal zur Unzeit: Ausgerechnet zum Beginn des G8-Gipfels im idyllischen irischen Enniskillen platzt der britische "Guardian" mit der Spitzelgeschichte heraus, die ebenfalls auf den Enthüllungen des Ex-Geheimdienstmitarbeiters Snowden basiert.

War es Absicht, dass die Zeitung das Material bis zum Gipfel-Start zurückgehalten hat? Von der Downing Street hieß es gestern, man äußere sich grundsätzlich nicht zu Sicherheitsfragen. Dem Bericht zufolge sollen die Briten 2009 Computer von G20-Teilnehmern überwacht und Telefonanrufe abgehört haben. Einige Delegationen seien auch dazu gebracht worden, Internetcafés zu nutzen, die zuvor eigens vom Geheimdienst eingerichtet worden waren. So habe man den E-Mail-Verkehr überwachen und Passwörter erbeuten können. In einem weiteren Dokumenten klopfen sich die Briten nach der Aktion auf die Schulter: "Es hat sich als nützlich herausgestellt, zu notieren, welche nationale Delegation in der Zeit vor, während und nach dem Gipfel aktiv war. Alles in allem ein sehr erfolgreiches Wochenende mit der Telefonaktion gegen Delegationen."

Rund 45 Analysten sollen etwa rund um die Uhr darüber informiert gewesen sein, wer mit wem telefonierte. Unter anderem sollen sie sich dafür sowie zur Überwachung von E-Mails Zugang auf die mobilen BlackBerry-Telefone der Delegationsmitglieder verschafft haben. In einer Power-Point-Präsentation wurde gezeigt, wie das geht. Am Ende der Operation wurde laut "Guardian" in einer internen Überprüfung der Aktion deren Erfolg gelobt. Unter anderem der damalige Premierminister Gordon Brown soll Bescheid gewusst haben. Die so gesammelten Informationen seien unverzüglich der britischen Delegation, darunter an Minister Browns weitergeleitet worden.

Besonders abgesehen hatten es die britischen Spione offenbar auf die Türkei. Finanzminister Mehmet Simsek und seine Delegation wurden während eines Finanzministertreffens im September 2009 überwacht, um herauszukriegen, ob die Türkei zu den beim Gipfel im April vereinbarten Zielen steht.

Die Türkei soll bereits auf die jüngsten Enthüllungen reagiert und den britischen Botschafter einbestellt haben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort