Abschied vom „glaubwürdigsten Repräsentanten“ der Republik

Berlin · Wegbegleiter aus aller Welt waren zum Staatsakt für de ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker gekommen. Doch die Krisen der Welt fanden auch Widerhall im Trauergottensdienst im Berliner Dom.

Angela Merkel und Frank- Walter Steinmeier kommen getrennt in den Berliner Dom . Sie setzt sich rechts zu den anderen obersten Vertretern der Verfassungsorgane, er links, zu den vier von der Familie bestimmten Rednern der Trauerfeier. Am Ende aber gehen sie gemeinsam hinter dem Sarg von Richard von Weizsäcker hinaus. Und steigen kurz darauf ins Flugzeug , dass sie zu den entscheidenden Friedensgesprächen nach Minsk bringt. Es ist der Tag des Abschieds von einem großen Bundespräsidenten. Aber auch der Tag der Entscheidung über Krieg und Frieden in der Ost-Ukraine. Diese Spannung liegt über dem Staatsakt und prägt hinterher auch die Gespräche der 1400 hochrangigen Gäste.

Es sind wenig Menschen an den Straßen zu sehen, die Gegend ist weiträumig abgeriegelt. Erst als der Wagen mit dem Leichnam des Alt-Bundespräsidenten die Sicherheitszone verlässt, haben einige die Möglichkeit, an dem Geschehen teilzuhaben. Die Kolonne, angeführt von einer kleinen Motorrad-Eskorte, fährt vorbei an den früheren Wirkungsstätten Weizsäckers: Sein Büro am Kupfergraben, im Haus neben Angela Merkels Wohnung. Das Schloss Bellevue , Amtssitz des Bundespräsidenten. Das Rathaus Schöneberg, in dem er als Regierender Bürgermeister von Berlin residierte. Dann zur Beisetzung im engsten Kreis zum Friedhof Dahlem nach Zehlendorf, dem Stadtteil, in dem sich auch sein Privathaus steht. Marianne von Weizsäcker und die drei Kinder haben es so gewünscht.

Richard von Weizsäcker ist nach Johannes Rau der zweite Bundespräsident, der im Berliner Dom geehrt wird. Unter der Kuppel steht: "Selig sind die Friedfertigen. Selig sind die Sanftmütigen". Vier große Sträuße mit weißen Blumen schmücken den Altar. Der Sarg ruht erhaben davor. Er ist mit der "Bundesdienstflagge" komplett bedeckt, acht Soldaten aller Waffengattungen tragen ihn später hinaus, wo die Verabschiedung mit Nationalhymne und militärischem Zeremoniell erfolgt. Vor dem Sarg liegt nur ein einziger, farbenfroher Blumenkranz. Es ist der der Familie. Marianne von Weizsäcker, über 60 Jahre mit Richard von Weizsäcker verheiratet, kommt als letzte. Sie geht eingehakt bei Joachim Gauck zur ersten Bankreihe und setzt sich, während der Bundespräsident sich vor dem Sarg verneigt. So wie vor ihm auch die Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff , Horst Köhler , Roman Herzog . In ganz Deutschland ist halbmast geflaggt.

Viele Ministerpräsidenten der Länder sind da, Bundesminister, Abgeordnete, mit Gerhard Schröder auch ein Ex-Kanzler. Dazu hochrangige ausländischen Gäste. An der Spitze Polens Idol Lech Walesa . Englands Ex-Premier John Major und die frühere Königin der Niederlande, Beatrix, die einen ihrer runden, überdimensionalen Hüte trägt. Diesmal in schwarz. Das Fernsehen überträgt live. Es gilt einen zu ehren, der, so Joachim Gauck , "einer der glaubwürdigsten Repräsentanten dieser Republik " war. Einer, der "eigentlich immer unser Bundespräsident geblieben ist", wie Wolfgang Schäuble (CDU ) sagt, der nach Gauck, Steinmeier und Ex-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) spricht.

Sie alle lassen das unvergleichlich reiche, aber auch dramatische Leben Weizsäckers Revue passieren. Von seiner Zeit bei der Wehrmacht und seinen Kontakten zum deutschen Widerstand über die Nürnberger Prozesse, in denen er seinen Vater verteidigte, bis hin zu jener Rede, mit der er in die Geschichtsbücher einging: Sein Satz vom 8. Mai 1985, dass das Ende des Krieges vierzig Jahre zuvor ein "Tag der Befreiung" Deutschlands gewesen sei. Weizsäckers Leben, so Gauck, sei regelrecht auf diesen Punkt zugelaufen. "Wir verneigen uns vor einem großen Bundespräsidenten", schließt Gauck, "der, als es an ihm war, das Richtige sagte und das Richtige tat."

Diese Last ruht nun auf der aktiven Politikergeneration, an diesem Tag vor allem auf Merkel und Steinmeier. Der Außenminister spürt es wohl selbst. Er spricht von einer "stürmisch-bedrohlichen Zeit" und sagt, in lichten Momenten der Geschichte hielten nicht Armeen oder Kriege die Dinge am Laufen, sondern das Wort. Weizsäcker habe daran geglaubt und dies praktiziert. Steinmeier stellt, wie auch Antje Vollmer , Weizsäckers Rede in eine Reihe mit dem Kniefall von Willy Brandt in Warschau. Weizsäcker habe der Welt damit "neues Vertrauen in unser Land gegeben". Aber hat dieses Vertrauen auch Wladimir Putin erreicht? Ist dieser 11. Februar 2015 so ein "lichter Moment" der Geschichte? Am Schluss des Gottesdienstes werden drei Fürbitten gesprochen und von den 1400 Besuchern mit einem "Herr, erbarme dich" bekräftigt. Eine lautet: "Wir bitten für die Welt, die aus tausend Wunden blutet, dass Versöhnung möglich ist und Frieden werden kann". Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier nehmen sie mit auf ihrem Weg nach Minsk .

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