Abmahnung für die katholische Kirche Saar-Gewerkschaft fordert neue rechtliche Regelung

Straßburg/Essen. Bisher war klar: Die Kirche darf einen Mitarbeiter entlassen, der sich scheiden lässt und wieder heiratet. Lehrer an katholischen Schulen, Erzieherinnen an kirchlichen Kindergärten, ja selbst Putzfrauen in Caritas-Einrichtungen sind zu einem moralischen Lebenswandel verpflichtet. Immer wieder sorgt das für Streit

Straßburg/Essen. Bisher war klar: Die Kirche darf einen Mitarbeiter entlassen, der sich scheiden lässt und wieder heiratet. Lehrer an katholischen Schulen, Erzieherinnen an kirchlichen Kindergärten, ja selbst Putzfrauen in Caritas-Einrichtungen sind zu einem moralischen Lebenswandel verpflichtet. Immer wieder sorgt das für Streit. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden: Die Entlassung eines Chorleiters in Essen wegen einer außerehelichen Beziehung verstößt gegen das Grundrecht auf Schutz des Privatlebens.

Wird das historisch gewachsene deutsche Staatskirchenrecht von der EU außer Kraft gesetzt? Der Freiburger Kirchenrechtler Prof. Georg Bier ist skeptisch: "Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist im Grundgesetz verankert - das ist keine schwache Position, die einfach ausgehebelt werden kann." Ob das Straßburger Urteil grundlegende Bedeutung für die Kirche in Deutschland habe, lasse sich noch nicht absehen. Eins aber steht fest: Beim Thema Wiederverheiratung lässt die Kirche nicht mit sich reden. Denn aus katholischer Sicht gibt es keine Scheidung. Wer kirchlich heiratet, der bindet sich vor Gott. Die Kirche beruft sich dabei auf Aussagen Jesu in der Bibel, etwa im Matthäus-Evangelium (19,6): "Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen."

Jeder kirchliche Angestellte - selbst wenn er selber gar nicht Mitglied der Kirche ist - wird deshalb verpflichtet, in seiner Lebensführung diese Vorgaben zu beachten. Andernfalls kann er fristlos gekündigt werden. Im Einzelfall hat der Bischof vor Ort allerdings einen Ermessensspielraum: Mitarbeiter in leitenden und öffentlich herausgehobenen Positionen können sich in der Regel weniger leisten als die Putzfrau im katholischen Kindergarten.

Gewerkschaften stoßen sich schon lange an den eingeschränkten Arbeitnehmerrechten der Kirche. Das Straßburger Urteil gibt ihnen nun Auftrieb. Auch wenn die Richter in einem anderen Fall die Kündigung eines leitenden Mitarbeiters der deutschen Mormonenkirche wegen außerehelicher Beziehungen für rechtens erklärten: Die Kirchen haben es schwer, ihre traditionellen Rechte auf europäischer Ebene zu verteidigen. Zuletzt hatte der Straßburger Gerichtshof im vergangenen November entschieden, dass ein christliches Kreuz im Klassenzimmer einer Staatsschule die Religionsfreiheit der Schüler verletzt.

Der Essener Kirchenmusiker Bernhard Schüth hofft jetzt, dass er nach 13 Jahren an seinen Arbeitsplatz in der katholischen Kirchengemeinde Sankt-Lambertus zurückkehren kann. Doch der Sprecher des Bistums Essen, Ulrich Lota, dämpft diese Hoffnung bereits: "Ich erwarte nicht, dass der Kläger an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren wird." Das Bistum und selbst die Bundesregierung wollen Rechtsmittel prüfen. Saarbrücken. Von der Erzieherin, die in wilder Ehe lebt, über Kirchenaustritt bis zu Homosexualität: Auch im Saarland gibt es immer wieder Fälle, in denen Mitarbeitern katholischer Einrichtungen gekündigt wurde, weil sie gegen die Beschäftigungsanforderungen verstoßen. "Es kommt nicht sehr häufig vor, aber gerade im Moment bearbeite ich so einen Fall", sagt Michael Quetting vom Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen bei Verdi Saar. Nach der Kritik des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte an der Kündigung eines Chorleiters wegen einer außerehelichen Beziehung hat der Gewerkschafter die "Hoffnung auf eine Wende. Es wäre schön, wenn die Kirche auch endlich im staatlichen Arbeitsrecht ankäme. Doch bisher haben die deutschen Gerichte meist im Sinne der Kirche entschieden."

Ausgehend von ihrem Selbstbestimmungsrecht hat die katholische Kirche ihre "Grundordnung des kirchlichen Dienstes" zur Basis ihrer Arbeitsverhältnisse gemacht. Demnach wird von den Mitarbeitern erwartet, dass sie "die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten". Verstöße gegen die Loyalitätspflichten gegenüber der Kirche wie eine Zweitehe, Seitensprünge oder Kirchenaustritt können zur Kündigung führen. "So eine Regelung ist in der heutigen Zeit von Patchwork-Familien und sinkenden Mitgliederzahlen bei Kirchen realitätsfern", sagt Quetting. Zudem setze sie die Mitarbeiter unter Druck. Zwar würden viele Einrichtungen von diesem gesonderten Arbeitsrecht inzwischen nicht mehr Gebrauch machen. "Es sollte jedoch auch endlich eine neue rechtliche Grundlage geben." mast

Meinung

Kein Staat

im Staate

Von SZ-Redakteur

Ulrich Brenner

Wer die Kirche repräsentiert, muss ihre Werte vertreten. Wie milde katholische Obere aber mit fehlbaren Hirten umzugehen im Stande sind, hat die Missbrauchsdebatte gezeigt. Da irritiert, wie rigoros sie weniger exponierte Diener strafen, die aus der Tragödie einer gescheiterten Ehe ehrliche Konsequenzen ziehen. Das gestrige Urteil könnte Anlass sein, über diese Doppelmoral nachzudenken. Und das Thema geht nicht nur die Kirche etwas an. Ihr Einfluss reicht bei uns weit über ihre Mauern hinaus. Sie agiert als Arbeitgeber in Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern. Wer so Teil der Gesellschaft ist, darf kein Staat im Staate sein.

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