Spekulationen um Grünen-Chef Wird Özdemir zu Erdogans Albtraum?

Von Michael Fischer und Can Merey

 Cem Özdemir könnte neuer Außenminister werden.

Cem Özdemir könnte neuer Außenminister werden.

Foto: dpa/Bernd Von Jutrczenka

BERLIN (dpa) Solche Töne hat man lange nicht mehr aus der türkischen Regierung gehört. „Es gibt keinen Grund für Probleme zwischen Deutschland und der Türkei, auch wenn das vergangene Jahr schwierig war“, sagt Außenministerminister Mevlüt Cavusoglu im aktuellen „Spiegel“. Nun, da der Wahlkampf in Deutschland vorbei ist, glaube er an eine Normalisierung der Beziehungen. „Und ich bin bereit, dafür Anstrengungen zu unternehmen.“

Alleine die Tatsache, dass sich Cavusoglu zwei Wochen nach der Bundestagswahl an die deutsche Öffentlichkeit wendet, ist ein klares Zeichen der Entspannung. Er hat in diesen zwei Wochen auch schon zwei Mal mit seinem scheidenden Kollegen Sigmar Gabriel telefoniert, nachdem es lange Zeit nur sehr sporadisch Kontakte zwischen den beiden gab. Ob die Gespräche mit dem SPD-Politiker den deutsch-türkischen Beziehungen noch helfen, ist aber fraglich. Denn nach jetzigem Stand der Dinge wird Gabriel nicht mehr lange Außenminister sein, weil seine Partei sich für die Opposition entschieden hat. Und die Suche nach einem Nachfolger in den bevorstehenden Gesprächen über eine Jamaika-Koalition könnte ein neues Problem zwischen beiden Ländern generieren.

Denn derzeit gilt als wahrscheinlich, dass die Grünen den Außenministerposten besetzen. Und sollte das so kommen, ist der aussichtsreichste Anwärter jemand, den die regierungsnahe türkische Zeitung „Yeni Akit“ kürzlich noch einen „Vaterlandsverräter“ schimpfte: Cem Özdemir, 51, schwäbelnder Sohn türkischer Eltern, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, und einer der schärfsten Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Normalerweise interessiert sich Erdogan nicht für Vorsitzende so kleiner europäischer Oppositionsparteien, wie es die Grünen bisher gewesen sind. Özdemir ist eine Ausnahme. Im Juni 2016 nannte Erdogan ihn in einer Rede vor Dorfvorstehern „den Mann, der in Deutschland sein eigenes Land des Völkermordes beschuldigt“. Auch ohne dass Özdemirs Name fiel, wusste jeder, wer gemeint war, als der Präsident fragte: „Was ist er, wenn nicht charakterlos?“ Grund war die Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, deren maßgeblicher Initiator Özdemir gewesen ist und die bis heute nicht nur Erdogan, sondern auch oppositionelle Türken empört. Regierungsnahe Zeitung schäumten damals vor Wut. „Yeni Safak“ beschimpfte den Grünen-Chef als „Abschaum“. „Star“ nannte Özdemir nicht nur einen „Pseudo-Türken“, sondern auch einen „Verehrer der Armenier und der PKK“.

Sollte Özdemir tatsächlich Außenminister werden, wäre er der erste Bundesminister aus einer türkischen Migrantenfamilie. Er dürfte gerade deswegen penibel darauf achten, dass er sich nicht auf das Türkei-Thema reduzieren lässt. Und es ist auch unwahrscheinlich, dass er den Kurs der bisherigen Bundesregierung im Grundsatz ändert.

Auch aus seiner Sicht gibt es nur einen Weg zur Entspannung: „Aber erstmal muss die Türkei ihren Beitrag leisten zu einer Normalisierung des Verhältnisses, indem die deutschen Geiseln, die dort seit langem im Gefängnis sitzen, endlich freigelassen werden.“ Erst dann könnten auch Schritte der deutschen Seite folgen. Gemeint sind der Menschenrechtler Peter Steudtner, der Journalist Deniz Yücel und andere, die aus politischen Gründen seit Monaten in der Türkei im Gefängnis sitzen. Im Fall Steudtner gab es gestern eine neue Entwicklung, die den Annäherungsversuch Cavusoglus wieder zunichte machte. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen ihn und neun weitere Menschenrechtler. Steudtner drohen 15 Jahre Haft.

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