20 Prozent auf gar nichts mehr

Fast schon zynisch mutet das Plakat über dem Eingang der Praktiker-Filiale in Saarbrücken an. Rot auf Gelb steht dort geschrieben: „Gestatten, wir werden Ihr neuer Baumarkt!“ In sieben Wochen, am 29.

 Der Praktiker-Markt in Saarbrücken sollte schon bald den Namen Max Bahr tragen. Foto: Rich Serra

Der Praktiker-Markt in Saarbrücken sollte schon bald den Namen Max Bahr tragen. Foto: Rich Serra

Foto: Rich Serra

August, hätte in der Landeshauptstadt der Markt neu eröffnen sollen - unter der neuen Marke Max Bahr. Entscheidende sieben Wochen. Denn mit der Neueröffnung hätte sich auch das Arbeitsverhältnis der Mitarbeiter geändert: Fortan wären sie nicht mehr bei Praktiker angestellt gewesen, sondern bei der Baumarkt Max Bahr GmbH & Co KG. Und ihr Arbeitgeber wäre nicht insolvent.

Weil die Praktiker-Pleite entscheidende sieben Wochen zu früh kam, blicken die 70 Mitarbeiter des Saarbrücker Marktes jetzt in eine unsichere Zukunft. "Wie es weitergeht, wissen wir nicht", sagt Hartmut Rau. Er arbeitet in der Sanitärabteilung und vertritt seine Kollegen im Gesamtbetriebsrat des Unternehmens. "Dabei hatte der Abverkauf so viel Schwung gebracht", sagt er. Seit Mitte Juni läuft bei Praktiker der Abverkauf mit wöchentlich steigenden Rabatten. Bis Anfang August sollte der Markt leer sein. "Das hat viel Spaß gemacht", sagt Rau.

Parallel dazu gab es Schulungen in Mainz, mit denen die Mitarbeiter auf das neue Max-Bahr-Konzept vorbereitet werden sollten. "Sechs Mitarbeiter sind noch da", sagt Rau. Heute sollen sie zurückkehren. Weitere werden wohl vorerst nicht geschickt. "Dabei hätte das neue Konzept funktioniert", ist Rau überzeugt. Mehr Service, mehr Präsenz, mehr Marke - mit diesem Dreiklang erwirtschaftet die in Norddeutschland starke Baumarktkette seit Jahren Gewinne bei zahlungskräftigen Kunden. Rau hätte es toll gefunden, in zwei Monaten mit Max Bahr neu durchzustarten. Stattdessen wird nun der vorläufige Insolvenz-Verwalter entscheiden müssen, wie es in Saarbrücken und anderswo weitergeht.

Acht Tochtergesellschaften der Praktiker AG haben gestern beim Amtsgericht in Hamburg Insolvenz angemeldet. Eine weitere positive Fortführungsprognose der Unternehmen sei entfallen, nachdem der Verkauf der luxemburgischen Tochtergesellschaft Batiself gescheitert war, teilte der Vorstand den Mitarbeitern mit. Einzig die Tochter Max Bahr ist nicht betroffen.

Auch den langen Winter führt der Vorstand als Grund für die Insolvenz an. Das schlechte Wetter habe die Baumarktkonjunktur einbrechen lassen und dadurch die "angespannte Liquiditätssituation" noch verschärft. Viele Mitarbeiter allerdings nennen einen anderen Grund. Auch Hartmut Rau: "Wir büßen für jahrelanges Missmanagement."

"20 Prozent auf alles - dadurch ist alles kaputtgegangen", sagt Ruth Sauer. Sie ist Betriebsratschefin im früheren Praktiker-Markt in Neunkirchen-Sinnerthal. Der leuchtet seit Mitte Februar im Max-Bahr-Gelb und ist daher von der Insolvenz nicht betroffen. Trotzdem herrscht auch bei den 100 Mitarbeitern im dortigen Markt Unsicherheit: "Wir haben Mittwochabend bei einer Betriebsversammlung von der Insolvenz erfahren", sagt Sauers Kollege Klaus Alt. "Danach folgte eine schlaflose Nacht." Dass Max Bahr nicht unter den insolventen Töchtern der Praktiker AG ist, klärte sich zwar gestern Mittag. Doch viele Fragen bleiben: Beispielsweise ob Max Bahr überhaupt noch beliefert wird. Denn schon in der Vergangenheit haperte es mit dem Nachschub - auch wegen der Probleme der kriselnden Mutter. Unklar ist auch, wem Max Bahr zukünftig gehören wird. Denn die österreichische Kreditgeberin Isabella de Krassny, die die Praktiker-Sanierung mit 75 Millionen Euro mitfinanziert hat, hat ihr Kredit-Engagement gut abgesichert: durch ein Pfandrecht auf die profitable Tochter Max Bahr.

Die Gewerkschaft Verdi nannte die Entwicklung bei Praktiker gestern eine "menschliche und existenzielle Tragödie". Die Mitarbeiter seien bereit gewesen, für drei Jahre auf fünf Prozent ihres Gehaltes zu verzichten, sagt Stefanie Nutzenberger, die schon als saarländische Gewerkschafterin für Praktiker gekämpft hat und den Konzern nun auch als Mitglied des Bundesvorstands betreut. Ziel des Verzichts sei eine sichere Perspektive gewesen: "Umso bitterer ist es, das nun in der Folge der Insolvenz viele der Menschen ihren Arbeitsplatz und damit ihre berufliche Existenz verlieren könnten."

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HintergrundPraktiker ist pleite - Kunden bestellen daher besser nicht mehr auf Vorkasse. Denn sonst gehen sie womöglich leer aus, wenn das bestellte Produkt nicht mehr geliefert werden kann. "Bei ausbleibender Lieferung fällt die Vorauszahlung zumeist in die Insolvenzmasse", erklärt Sabine Fischer-Volk von der Verbraucherzentrale. Ratenzahlungen für bereits erhaltene Ware dürfen Kunden nicht einfach einstellen, erklärt die Expertin weiter. Sollte sich die Bankverbindung des Unternehmens ändern, informiert darüber gegebenenfalls der Insolvenzverwalter.Garantien müssen gegebenenfalls beim Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. In jedem Fall greift noch die Hersteller-Garantie.dpa/jwo

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