100 Tage Obama: Amerika liebt Mister Cool

Washington. Es war, so berichten Teilnehmer, eine ganz normale Party im Hause Obama. Auf den Fernsehschirmen im Ostflügel des Weißen Hauses lief ein Football-Spiel, und in den Sesseln lümmelten sich Freunde, Bekannte sowie Kongress-Mitarbeiter beider großer Parteien

 Ein halb nackter Obama auf der Titelseite des US-Magazins "Washingtonian" sorgt in den USA für Wirbel. Foto: dpa

Ein halb nackter Obama auf der Titelseite des US-Magazins "Washingtonian" sorgt in den USA für Wirbel. Foto: dpa

Washington. Es war, so berichten Teilnehmer, eine ganz normale Party im Hause Obama. Auf den Fernsehschirmen im Ostflügel des Weißen Hauses lief ein Football-Spiel, und in den Sesseln lümmelten sich Freunde, Bekannte sowie Kongress-Mitarbeiter beider großer Parteien. Es gab Hot Dogs, Bier und warme Schokoladenplätzchen - offeriert vom Präsidenten höchstpersönlich, der ein Tablett durch die Menge balancierte. Dann verspürte einer der Gäste ein dringendes Bedürfnis. Wo es denn zur Toilette gehe, fragte er den Mann mit den Plätzchen. Worauf dieser witzelte: "Weiß ich doch auch nicht. Ich bin doch gerade erst seit zehn Tagen hier."

Mit derartigen Anekdoten aus dem Präsidenten-Alltag, die Berater von Barack Obama häppchenweise der ewig hungrigen Medienmeute servieren, soll in der Öffentlichkeit ein Bild zementiert werden, das sich längst verfestigt hat. Der Wahlsieger kann sich nach 100 Tagen im Amt über erstklassige Image-Noten freuen - trotz der Mammutlast einer Rezession, zweier nicht abgeschlossener Kriege und Dauer-Kritik der Republikaner an seinen Entscheidungen. Wesentlich dazu beigetragen hat das Image eines ruhigen, kompetenten und charmanten Präsidenten, der nie seine Fassung zu verlieren scheint. Und der im Überschall-Tempo die ererbten Probleme angegangen ist.

Bereits am dritten Tag nach seiner Vereidigung ordnet der Wahlsieger, der gerne ohne das unter Bush noch unverzichtbare Jackett an seinem Schreibtisch sitzt, die Schließung von Guantanamo Bay an. Es folgen, unter anderem: Der Beschluss zum Truppenrückzug aus dem Irak, die Entlassung des General Motors-Chefs, die staatliche Förderung des Stammzellen-Forschung und die Verabschiedung des größten Haushalts in der amerikanischen Geschichte. Versöhnungs-Gesten gegenüber der moslemischen Welt und das - von Konservativen in den USA bemäkelte - Eingeständnis, dass Amerika Fehler gemacht hat. Und ein Europa-Trip, der deutlich macht: Die Popularität des "Yes we can"-Propheten ist auch auf dieser Seite des Atlantik ungebrochen.

Doch für Obama zählt vor allem das Spielfeld zuhause - und dort ist er omnipräsent, auch weil er und seine Berater geschickt das zur Verfügung stehende Medienspektrum nutzen. "Unser letzter Präsident hatte noch nicht einmal einen Computer auf seinem Schreibtisch", lästerte jetzt US-Kolumnist Steve Rosenbaum über George W. Bush, "doch Barack Obama hat einen vom Secret Service speziell präparierten Blackberry und sogar ein Twitter-Kennwort." Obama sei ein "Always On"-Präsident, sagt Rosenbaum - also immer eingeschaltet und täglich so stark im Fernsehen, Internet und Zeitungen präsent, dass einige Medienkritiker schon von "overkill" reden. Und er ist ein Staatsoberhaupt mit vielen Gesichtern. Bei Jay Leno witzelt er auf der Talk-Couch. Beim Sportsender ESPN tippt der Korbball-Fan den Ausgang von College-Basketballspielen, was vor allem Sportfans und Jugendliche "cool" finden. Und beim Treffen mit Bankmanagern zeigt er sich mit autoritärer Stärke. "Passt auf, was ihr der Öffentlichkeit sagt", soll er die Mächtigen der Wall Street abgemahnt haben, "die Nation kauft euch eure Worte nicht mehr ab. Meine Regierung ist das einzige, was zwischen euch und den Mistgabeln steht."

Seinen Tagesablauf hat Barack Obama, berichten Mitarbeiter, minutiös organisiert - und hält, anders als beispielsweise früher die Clintons, die Terminpläne auch ein. Um sieben Uhr morgens ein halbstündiges Fitness-Training, dann Frühstück mit der First Lady und den Töchtern Sasha und Malia. Es folgt zumeist eine eng gestaffelte Serie interner Beratungen - oder einer jener öffentlichen Termine, die ihn und seine Familie weiter im Rampenlicht halten. Die Medien-Dominanz und die damit verbundene Popularität kommen mit einem Effekt, der die Obamas nicht zu stören scheint: dem teilweisen Verlust der Privatsphäre. Paparazzi aus Los Angeles sehen längst Washington als neues lukratives Einnahmefeld. Für Fotos vom durchtrainierten nackten Waschbrett-Bauch des 47-Jährigen werden von Illustrierten mittlerweile sechsstellige Summen bezahlt. Zur Vorstellung des Haushundes "Bo" schubsten sich kürzlich hunderte von Medienvertretern über den Rasen vor dem Weißen Haus. Und Michelle Obamas durch Hanteltraining feindefinierte Oberarme sorgen ebenso für Gesprächsstoff wie die Saumlänge ihrer Kleider. "Was die Königsfamilie für die Briten ist, das sind die Obamas mittlerweile für die US-Bürger", beschreibt Howard Kurz von der "Washington Post" das Phänomen.

Auch die Nachricht, dass Barack Obama jeden Tag zehn Bürger-Briefe aus dem täglich eingehenden Postberg fischen lasse und handschriftlich mit schwarzer Tinte auf blauem Papier beantworte, passt zum sorgsam gepflegten Bild eines volksnahen und mitfühlenden Präsidenten, der sich nicht vom Establishment in Washington vereinnahmen lassen will. Vor allem, wenn Obamas engster Berater David Axelrod dann noch enthüllt: "Einmal war der Präsident beim Lesen ganz ruhig. Eine Familie schrieb, wie sie verzweifelt um ihre wirtschaftliche Existenz kämpft. Und Obama hatte plötzlich Tränen in den Augen." Auch Mister Cool darf manchmal weinen . . . "Was die Königsfamilie für die Briten ist, das sind die Obamas für die US-Bürger."

Howard Kurz von der Zeitung "Washington Post"

Hintergrund

Laut einer Umfrage von "Washington Post" und TV-Sender ABC bescheinigen 63 Prozent der Bürger Präsident Obama, dass er in den ersten 100 Tagen viel bis sehr viel erreicht habe. Insgesamt sind 69 Prozent mit der Arbeit des Präsidenten zufrieden oder mehr als zufrieden, 26 Prozent sind es nicht. Dabei findet der Präsident den stärksten Beifall für seine Außenpolitik vom Irak (71 Prozent Zustimmung) bis zu seinem Kuba-Kurs (61). Aber auch Obamas Wirtschaftspolitik findet mit 58 Prozent noch breite Unterstützung. dpa

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