Frauen in der Politik Auch nach 100 Jahren dominieren die Herrenanzüge

Berlin · Am 19. Februar 1919 stand die erste Frau am Rednerpult des deutschen Parlaments. Eine Männerdomäne ist die Politik aber bis heute. Das soll sich bald ändern.

(dpa/SZ) Es ist ein kurzer, schlichter Satz, der Geschichte schreibt: „Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Juchacz.“ Ausgesprochen am 19. Februar 1919 vom Präsidenten der Weimarer Nationalversammlung. Marie Juchacz, Sozialdemokratin und Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, betritt daraufhin das Rednerpult, begrüßt die „Herren und Damen“ und redet – als erste Frau vor einem deutschen Parlament. Wenige Wochen zuvor konnten Frauen erstmals wählen und selbst gewählt werden.

Heute, 100 Jahre später, wird langsam eine Generation erwachsen, die Deutschland nur als Kanzlerinnenland unter Angela Merkel (CDU) kennt. Trotzdem dominieren in den Parlamenten nach wie vor die dunklen Herrenanzüge. Im Bundestag schrumpfte der Frauenanteil zuletzt von gut 36 auf knapp 31 Prozent. Im Vergleich mit anderen EU- und OECD-Ländern liegt Deutschland nach Zahlen der Weltbank gerade einmal auf Platz 16.

Das liege unter anderem am Erstarken der AfD, die sehr männerdominiert sei, meint die Politologin Gabriele Abels, die sich an der Uni Tübingen mit Gender-Themen im politischen Kontext befasst. „Aber auch die CDU stellt in aussichtsreichen Wahlkreisen oft Männer auf.“

Außerhalb der Hauptstadt ist das Ungleichgewicht noch größer. In den Kommunen ist nur jeder vierte Sitz weiblich besetzt, in den Landtagen sind es im Schnitt 30 Prozent. Thüringen ist mit 41 Prozent Spitzenreiter, Baden-Württemberg Schlusslicht mit 25 Prozent. Das Saarland liegt auf Platz fünf, mit rund 35 Prozent.

Für die FDP-Bundestagsabgeordnete Gyde Jensen liegt an der politischen Basis die Wurzel des Problems. „Man muss Menschen die Möglichkeit geben, sich politisch zu engagieren“, sagt die 28-Jährige. Sitzungen in lokalen Parlamenten fänden oft abends statt – Ende offen. Das mache die Vereinbarkeit mit dem Beruf schon schwierig, mit einer Familie fast unmöglich. „Das Problem wird weiter nach oben getragen“, meint die Politikerin.

Ein Blick in den hohen Norden zeigt, dass es auch anders geht: Im schwedischen Reichstag sind fast 44 Prozent der Abgeordneten Frauen. Das Land setzt auf Gleichstellung, auch in der Politik. Dazu gehört: organisierte Kinderbetreuung, gute Bedingungen für Elternzeit, soziale Unterstützung bei Auslandseinsätzen. Auch die Parlamente in Dänemark und Norwegen sind deutlich weiblicher geprägt. In Frankreich ist es Emmanuel Macrons Bewegung La Republique en Marche zu verdanken, dass heute deutlich mehr Frauen im Unterhaus sitzen als jemals – aktuell sind es 39 Prozent.

Parlamente sollen ein Spiegel der Gesellschaft sein – es müsste also Parität herrschen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf bei einer Diskussionsrunde in Berlin aber sogar die Frage auf: „Würden wir in einer besseren Welt leben, wenn weniger Testosteron an der Macht wäre?“ Forscher aus Berlin, Genf und Amsterdam zeigten mit einer Auswertung zu Friedensverträgen: Die Teilhabe von Frauen kann über Krieg und Frieden entscheiden. Der Frieden ist nachhaltiger, wenn Frauen mit am Verhandlungstisch gesessen haben. Auch Gyde Jensen ist überzeugt, dass Lösungsfindung effektiver funktioniert, wenn Frauen beteiligt sind. „Frauen diskutieren anders, häufig effizienter. Das merkt man auch an Debatten im Bundestag.“

Dass das Wahlrecht der Frauen seinen 100. Geburtstag feiert, scheint dem Anliegen Aufwind zu geben. Eine fraktionsübergreifende Gruppe lotet zurzeit die Chancen für ein Paritätsgesetz aus, was SPD-Chefin Andrea Nahles gestern nochmal bekräftigte. Ob das Gesetz kommt, ist offen. Da Grüne und SPD dafür seien und AfD und FDP dagegen, hänge es vor allem daran, wie die CDU sich entscheide, meint Polit-Forscherin Abels. Während auf Bundesebene noch diskutiert wird, hat Vorreiter Brandenburg im Januar ein Gesetz beschlossen, nach dem alle Parteien für die Landtagswahl gleich viele Frauen und Männer als Kandidaten aufstellen müssen.

Die Abgeordnete Jensen lehnte eine Frauenquote in Parteien früher ab. Dann sah sie, dass sich nicht genug veränderte. Heute sagt sie: „Eine zeitlich begrenzte Quote in der FDP würde ich befürworten. Ich habe umgedacht.“

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