Der Richter, auf den die halbe Welt schautZschäpe-Anwälte werfen Gericht "Diskriminierung" vor CDU-Vize Klöckner vermisst Kreuz im Gerichtssaal Islamisten-Szene plante offenbar Rache für NSU

München. Viel Zeit bleibt nicht. Bevor am Mittwoch in München der Prozess um die rassistischen Morde der Terrorzelle NSU beginnt, muss der Senat von Manfred Götzl die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen: Mindestens drei Plätze soll er für Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern bereitstellen. Das höchste Gericht hat Götzl zum Handeln verdonnert

 Arbeitet sehr präzise, ist angeblich zu Wutausbrüchen fähig: Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-Prozess. Foto: Tobias Hase/dpa

Arbeitet sehr präzise, ist angeblich zu Wutausbrüchen fähig: Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-Prozess. Foto: Tobias Hase/dpa

München. Viel Zeit bleibt nicht. Bevor am Mittwoch in München der Prozess um die rassistischen Morde der Terrorzelle NSU beginnt, muss der Senat von Manfred Götzl die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen: Mindestens drei Plätze soll er für Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern bereitstellen. Das höchste Gericht hat Götzl zum Handeln verdonnert. Der hat sich aber bisher nicht geäußert, und so wissen wenige Tage vor Prozessbeginn die türkischen Medien immer noch nicht, wer von ihnen dabei ist.

Götzl gilt als unbeirrbarer Jurist, der sich strikt an Regeln hält. Der 59 Jahre alte Franke ist bekannt für harte Urteile, die fast immer unanfechtbar blieben. Nur ein einziges kassierte der Bundesgerichtshof in Götzls sieben Jahren als Vorsitzender des Schwurgerichts - der Richtige somit für diesen wichtigen Prozess und die ambitionierte Anklage. Die Bundesanwaltschaft wirft Beate Zschäpe Mittäterschaft vor, obwohl sie anscheinend bei keinem der Morde, Anschläge und Überfälle des "Nationalsozialistischen Untergrunds" dabei war. Götzls Senat steht vor einer schwierigen Aufgabe.

Ausgerechnet kurz vor Prozessbeginn kam die Ohrfeige aus Karlsruhe. Weil bei Götzls Akkreditierungsverfahren türkische Medien keinen festen Platz ergatterten und er keine Lösung anbot, legte die Zeitung "Sabah" Verfassungsbeschwerde ein - und bekam im Eilverfahren recht. Es so wie das Mannheimer Landgericht zu machen, das im Prozess gegen den aus der Schweiz stammenden Wettermoderator Jörg Kachelmann Schweizer Medien Plätze reservierte, kam Götzl offenbar nicht in den Sinn.

Als stur und unsensibel bewerteten viele diese Haltung. Götzl allerdings verfolgte vor allem ein Ziel: Er wollte das bisher wichtigste Verfahren seiner Karriere davor schützen, dass ein Urteil später wegen Formfehlern vor dem Bundesgerichtshof gekippt werden kann. So zumindest erklärte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) das auch von CSU-Politikern kritisierte Vorgehen.

Zwei Charakteristika machen Götzl als Richter aus: Seine Prozessführung ist unangenehm, wiederholt zeigte er in der Vergangenheit regelrechte Wutausbrüche. Auf der anderen Seite arbeitet der Jurist im höchsten Maß präzise. Götzl kann durchaus anerkennen, wenn ihn Verteidiger mit raffinierten Schachzügen herausfordern. Wenn Anträge aber offensichtlich nur zur Zeitverzögerung gestellt werden, kann er patzig werden.

Zunächst muss aber jetzt die Platzvergabe geklärt werden. Karlsruhe hat grob einen Weg vorgezeichnet: Das Gericht kann Plätze für türkische Medien von den schon zugelassenen Medien oder dem Publikum abknapsen und per Los oder nach Prioritätsprinzip vergeben. Nicht klar ist, ob eine neue Bewerbung nötig ist oder die bisherige Liste gelten könnte - darauf wäre die "Sabah" das dritte türkische Medium und somit wohl dabei.

Mit Spannung wird die Lösung des Senats erwartet - bis dahin geht die Debatte weiter. Während die einen vor einer Verzögerung warnen, fordern andere ein neues Akkreditierungsverfahren. Das wäre kaum zu schaffen - und würde bedeuten, dass der Start verschoben wird oder es erst mal ganz ohne Akkreditierungen losgeht - mit programmiertem Chaos.

Dabei wünschen sich nach all dem Trubel viele vor allem eines: Dass endlich die Verbrechen der Neonazi-Bande in den Mittelpunkt rücken: zehn Morde an Kleinunternehmern ausländischer Herkunft und einer Polizistin, zwei Dutzend Mordversuche und 15 Raubüberfälle. "Ich hoffe, dass die Öffentlichkeit nun zu den Kernthemen zurückgeführt wird", sagt der Vorstandssprecher der Türkischen Gemeinde in Bayern, Vural Ünlü. "Was uns natürlich interessiert: Dass auch die Unterstützerstrukturen aufgedeckt werden. Man muss sehen, wie tief der Eisberg unter der Oberfläche ist. Davon hängt ab, ob wir weiter in Angst leben müssen."München. Die Verteidiger der NSU-Terroristin Beate Zschäpe haben das Oberlandesgericht München scharf attackiert. Wie der "Focus" berichtet, werfen die Anwälte Richter Manfred Götzl in einem Schreiben vom 7. April "offene Diskriminierung der Verteidiger" vor. Hintergrund sei die Anordnung des Richters, dass die Anwälte vor jedem Prozesstag körperlich durchsucht werden müssten, "um das Einschmuggeln von gefährlichen Gegenständen" wie Waffen oder Sprengstoff ins Gericht zu verhindern. Andere Prozessbeteiligte, etwa Richter oder Justizbeamte, sind von dieser Regelung ausgenommen.

Unterdessen hat die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen ausgeweitet. Vergangene Woche durchsuchten Fahnder erneut die Wohnung von Susann E., einer einstmals engen Vertrauten Zschäpes, wie der "Spiegel" berichtet. Die 31-Jährige stehe im Verdacht, Zschäpe bei der Flucht geholfen zu haben. dpa

Berlin. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner kritisiert, dass in dem für den NSU-Prozess vorgesehenen Gerichtssaal das Kreuz abgenommen worden ist. Klöckner, die auch Mitglied des Zentralkomitees der Katholiken in Deutschland ist, sagte, es handele sich um eine "gänzlich überflüssige Aktion". Das Recht eines Verfahrensbeteiligten, die Verhüllung des Kreuzes zu fordern, sei unbestritten. "Aber weshalb sollte man gleich und im vorauseilenden Gehorsam das Kreuz abhängen?" Klöckner weiter: "Das Kreuz ist auch Ausdruck unserer Kultur. Das aufgeklärte Christentum und das christliche Bild vom Menschen sind Grundlagen unseres Grundgesetzes, auf dem unsere Rechtsprechung beruht." dpa

Hamburg. Die Islamisten-Szene in Deutschland hat nach Einschätzung von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen Rache-Aktionen für die Taten des NSU geplant. So könnte es sich bei den verhinderten Anschlagsplänen von Salafisten gegen rechte Aktivisten der Gruppe Pro NRW im März um eine gezielte Vergeltung gehandelt haben, sagte Maaßen dem "Spiegel". Er hält vor allem die Auswahl von neun Namen auf einer Liste mit Pro-NRW-Aktivisten sowie eine Pistole des Typs Ceska, die bei einem Islamisten gefunden worden war, für keinen Zufall. Es handle sich "aus meiner Sicht um eine bemerkenswerte Parallele", sagte Maaßen. Die NSU-Täter hatten mit einer Ceska-Waffe neun Mordanschläge auf Migranten verübt. Sollten die Ermittlungen einen Zusammenhang belegen, "wäre es eine weitere Eskalationsstufe der Konfrontation zwischen diesen Spektren", sagte der Verfassungsschützer. afp

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"Ich hoffe, dass die Öffentlichkeit nun zu den Kernthemen zurückgeführt wird."

 Arbeitet sehr präzise, ist angeblich zu Wutausbrüchen fähig: Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-Prozess. Foto: Tobias Hase/dpa

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Vural Ünlü, Türkische Gemeinde

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