Überalterung als Chance: Eine Stadt lockt Alte an

Gähnende Leere im Kreißsaal, Ansturm auf Seniorenheime - so könnte in weiten Teilen Deutschlands die Zukunft aussehen.

Ribnitz-Damgarten. „1990 hatten wir 250 Geburten in der Stadt, zurzeit rund 100, in zehn Jahren sind es noch 60 pro Jahr“, sagt der Bürgermeister von Ribnitz-Damgarten, Jürgen Borbe (CDU). In der Kleinstadt nahe der Insel Rügen hat man aus der Not eine Tugend gemacht, man sieht den dramatischen Bevölkerungsschwund als Chance - und lockt Rentner aus ganz Deutschland an die Ostsee.
Für viele Kommunen in Deutschland hätte die Schließung einer Geburtshilfestation Anlass zu Trauer gegeben. Borbe kann genau diesem Schritt aber auch etwas Positives abgewinnen. Die Zimmer, die zuletzt in der örtlichen Klinik immer öfter leer gestanden hatten, konnten schnell belegt werden - mit Senioren.

1990 gab es im Nordosten Deutschlands 29 Geburtsstationen, heute sind es noch 18. „Aber die demografische Entwicklung ist eine große Chance für uns“, meint Borbe. In der 16000 Einwohner zählenden Kleinstadt gibt es im Gegensatz zu anderen Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern kaum Wohnungsleerstand. „Zu uns ziehen viele ältere Menschen.“ In Ribnitz-Damgarten spricht man mit guter medizinischer Versorgung speziell Senioren an.

Bis zum Jahr 2060 wird Deutschlands Bevölkerung von derzeit 82 Millionen auf 65 bis 70 Millionen Menschen schrumpfen. Dann werden hier voraussichtlich fast genauso viele Menschen über 80 wie Kinder und Teenager unter 20 Jahre leben. Das geht aus einer neuen Studie des Statistischen Bundesamts hervor, die am Mittwoch vorgestellt wurde. In Mecklenburg-Vorpommern ist dieser Trend bereits seit Jahren zu beobachten. Lebten dort 1990 insgesamt 1,9 Millionen Menschen, waren es 2008 noch 1,66 Millionen.

Demografen schauen interessiert in den Nordosten, denn zur Wende lag dort das Durchschnittsalter mit 35,8 Jahren so niedrig wie in keinem anderen Bundesland. 1990 machten die über 60-Jährigen gerade einmal 15,6 Prozent der Landesbevölkerung aus, 2008 lag dieser Anteil bei 44,7 Prozent. Das Durchschnittsalter stieg bis 2008 auf 44,7 Jahren.

Nie hätte Bürgermeister Borbe gedacht, dass das Krankenhaus auch für Standort-Entscheidungen den Ausschlag geben könnte. Aber Senioren, die ihren Altersruhesitz suchen, wollen eine medizinische Versorgung in Laufweite haben, sagt er. Auch ältere Bewohner aus Dörfern der Umgebung, wo nur noch wenige Busse am Tag fahren, suchten die Nähe der Klinik. Vor einem halben Jahr waren zum ersten Spatenstich für ein altersgerechtes Wohnprojekt 16 von 18 Wohnungen verkauft, der Investor fragte umgehend nach weiteren Bauplätzen.

Die Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern hat bereits mit einem Geriatrie-Konzept auf die Überalterung der Gesellschaft reagiert, wie Geschäftsführer Wolfgang Gagzow sagt. Geriatrie ist das Fachwort für Altenmedizin. Kranke Alte werden in Stationen aufgenommen, wo das Personal speziell weitergebildet ist. Ziel ist dabei der fließende Weg von der ambulanten über die stationäre Versorgung hin zur Rehabilitation und Pflege.

Eine Frage macht Gagzow allerdings zu schaffen: Was wird mit den wenigen Schwangeren auf dem flachen Land? „Wovor ich Horror hätte, wäre die Zunahme von Hausgeburten ohne Arzt“, sagt er. Denn wenn es schwierig wird, sei oft keine Hilfe mehr möglich. „Man bekommt ein Kind nicht mal so nebenbei.“

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