Thomés toller Tanztempel

Ein junger Konditor übernimmt 1957 die väterliche Mokkastube, macht daraus ein Tanzcafé – und wird zur Legende Durch Otto Thomé wird Quierschied zu einem Mekka der Disko-Ära Kult sind beide bis heute: der „Oddo“ und sein Musik-Lokal

Sogar Herr Bockelmann war da. "Merci, merci, merci" schrieb der Österreicher, dessen Karriere als Udo Jürgens gerade auf die Kategorie "internationaler Star" gesprungen war, im September 1966 ins Gästebuch der Thomés. Soeben hatte der begehrte Barde mit "Merci, chéri" den Grandprix gewonnen, nun genoss er sein Gastspiel in Quierschied . In dem beschaulichen Bergmannsort war das ein wahrer Knüller. Aber das Tanzcafé von Otto und Lilli Thomé hatte eben damals schon Kult-Status.

"Hier könnte man ein ganzes Leben verbringen", schwärmte Udo Jürgens im Gästebuch - und die Damen im Tanzcafé wünschten unter ihren Hochfrisuren, er würde es tun. Noch heute ist Otto Thomé ganz gerührt, wenn er in seinem mit Stars gespickten Gäste-Album blättert. So richtig glauben kann er seine eigene Erfolgsgeschichte offenbar immer noch nicht, nach fast genau 60 Jahren.

Aber er hat sie alle da gehabt: Gilbert Bécaud und Peter Kraus , Rex Gildo und Thomas Fritsch, Heino und Heintje, Cindy und Bert, Ralf Bendix und Mary Ross. Nicole wurde hier entdeckt, Tony Marshall ging mal bei einer Westernparty auf einem Pferd durch. Die 60er und 70er waren die goldenen Zeiten des Cafés, in dem ein Schlager den nächsten jagte. Und Udo Jürgens war in all der Prominenz "schon ein Höhepunkt", erzählt der 82-jährige Otto Thomé , der mindestens so berühmt wurde wie das Café, das es in Quierschied immer noch gibt. Noch heute sprechen ihn Leute an, die sich erinnern. An ihren ersten Tanz "beim Oddo ". Den ersten Star. Den ersten Kuss. Das erste Ohrensausen. Denn "bei Thomé ", direkt gegenüber der Kirche, war immer mächtig was los.

Otto Thomé und seine Frau Lilli, die im September Diamantene Hochzeit feiern, haben vor 60 Jahren eine wahre Kult-Stätte erschaffen. Ihr Lokal war der erste "Szene-Treff" des Saarlands, eine der ersten Diskotheken der Republik, ein Mekka der deutschen Schlagerszene. "Man tanzt bei Thomé ", mit dem Werbespruch der 60er schwamm die saarländische Jugend auf der Beat-Welle mitten rein in die Quierschieder Marienstraße.

Alles begann mit einer Nachricht aus Amerika. Eigentlich war das Lokal, das der 23-jährige Konditormeister Otto Thomé im Oktober 1957 von seinem Vater übernahm, eine gemütliche Mokkastube . Doch dann hörten Otto und seine frisch gebackene Ehefrau von dieser neuen Mode aus den Staaten. "Da waren sogenannte Diskotheken gerade eine große Welle und das hat uns gefallen", sagt Otto Thomé . Also nachmachen. Im Saarland, das gerade seine Rückgliederung an die Bundesrepublik vollzogen hatte, fehlte es aus Sicht der beiden begeisterten Tänzer ohnehin an Tanzstuben.

Aber wie machte man Disko? Es fing langsam an. Die erste Musikbox kam ins Haus, Marke Eigenbau. "Wir wussten auch zuerst gar nicht, was überhaupt ein Discjockey war." Ein Freund glaubte, das sei "was mit Pferden", erinnert sich die 81-jährige Lilli Thomé und kichert. Schließlich fand sich ein echter DJ, der "Englisch konnte und gut unterhalten" in Fred Wagner, Bassist der ersten Hausband des Cafés. Ebenso berühmt wurde später Nachfolge-DJ Herry Klemm, auch Stadionsprecher des 1. FC Saarbrücken .

Die Pionieridee klappte. Während der Konditorbetrieb weiterlief, kamen nachmittags die Leute, zum Schwofen bei Sahnetorte - aus dem ganzen Saarland, der Pfalz, aus Frankreich. Nach und nach boten Thomés auch Attraktionen. "Events, würde man heute sagen", sagt Otto Thomé und seine Frau muss lachen. Gemeinsam mit seiner Lilli bot er den Gästen also Hitparaden und Kostümfeste, die erste Leuchtstoffröhre auf der Tanzfläche, den ersten klimatisierten Tanzraum. Und die Stars der Stunde.

Die kamen mit ihren neuesten Hits nach Quierschied , denn auch der Saarländische Rundfunk hatte das Kult-Café bald im Programm. "Das Haus hatte einen so guten Namen", erinnert sich Thomé , "dass sich das so ergab". Die SR-Moderatorengrößen Martin Arnhold und Manfred Sexauer sendeten ihre Hitparaden live aus dem "Tanzcafé Thomé " - und die tanzwütige Jugend in Röhrenjeans oder Petticoat rannte ihnen die Bude ein .

Im Souterrain des Cafés entstand dann Ende der 60er die Diskothek "Dominic" (wie der Sohn der Familie). Unten, wo die Gäste bis dato Wiener Kaffeehaus-Atmosphäre genießen konnten, bauten die Thomés nun einen echten Tanzschuppen aus, wie in Amerika. Mozartkugeln raus, Diskokugeln rein - bis zu 600 Gäste steppten fortan auf zwei Etagen ab. Oben gediegene Tanzmusik, unten flotter Beat. "Was eben gerade modern war", erinnert sich der Disko-König von damals.

Die Konditorei gaben Thomés dann auf, aber zu Essen gab es weiterhin. Rund 30 Mitarbeiter hatte das Tanzcafé in der Hochphase. Tanzen, Flirten, Autogramme jagen - damit lief es jahrzehntelang blendend. Gar keine Probleme? Prügeleien oder andere Jugendsünden gab es nicht, sagt Thomé . "Es ging familiär zu ." Auch der Diebstahl eines großformatigen Bilds der Funk-Legende James Brown war kein Drama. "Das war sowieso nicht so meine Musik", sagt Thomé schmunzelnd.

Als mit den 80ern neue Diskotheken , neue Musikstile und neue Jugendkulturen ins Land kamen, wurde es ruhiger bei Thomés. Das Gründer-Paar übergab den Disko-Staffelstab der Tochter, im Erdgeschoss zog ein Supermarkt ein . Seit Ende der 90er gab es eine Weile Pause und mehrere Wiedereröffnungen. Und seit zwei Jahren ist das Tanzcafé unter Betreiberin Brigitte Hermann wiederbelebt. Das Konzept ist nostalgisch: Es gibt Kaffee und Kuchen, aber auch Tanz. Sonntags Tanztee und Freitagsabends, unten im Souterrain, 40-Plus-Disko. "Es läuft gut", sagt Hermann, die Thomés legendären Tanztempel gemeinsam mit ihrem Mann führt. Ganz wie damals Otto und Lilli Thomé .

Die beiden sind unterdessen im Ruhestand - aber nur offiziell. Das sympathische Paar ist aktiv in seiner großen Familie, im Dorfgeschehen, im Verein. Und natürlich gehen Thomés noch tanzen. Ihr Lieblingstanz ist seit 60 Jahren der English Waltz. Den genießen sie weiterhin, jeden Sonntag ab drei. Wo? Lilli Thomé lächelt. Na: "Man tanzt bei Thomé ".

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