Gedenken am Breitscheidplatz Weiterleben nach dem Terror von Berlin

Berlin/Dresden · Drei Jahre ist es her, dass der Terrorist Anis Amri mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt raste. Petr Cizmar verlor an jenem Tag seine Frau.

 19. Dezember 2016: Eine Schneise der Verwüstung ist auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin zu sehen, nachdem der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen über den Platz gerast war.

19. Dezember 2016: Eine Schneise der Verwüstung ist auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin zu sehen, nachdem der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen über den Platz gerast war.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Die Kerze vor der Berliner Gedächtniskirche hat nun schon Tradition. Eine traurige. Zum dritten Mal wollen Petr Cizmar und sein Sohn David an diesem Donnerstag ein Licht anzünden – am Gedenkort für die Opfer des Terroranschlags vom 19. Dezember 2016. David hat an jenem Abend seine Mutter verloren, da war er fünf Jahre alt. Petr Cizmar verlor seine Frau Nada, die nach der Trennung eine gute Freundin geblieben war. Es gehe besser als im vergangenen Jahr, sagt er. So gut es eben gehe. „Ich will nicht mein ganzes Leben diesem Anschlag opfern. Ich will auch nicht ständig daran denken. Aber ich muss mit den Konsequenzen leben. Und das beschäftigt mich jeden Tag zu hundert Prozent.“

David bastele noch immer für Mama, sagt sein Vater. Zuletzt sei es ein Herz aus Keramik gewesen, in Orange. Das sei die Lieblingsfarbe seiner Frau gewesen. Das wisse David noch ganz genau. „Er möchte das Herz vielleicht auf ihr Grab legen.“ Das liegt weit weg, in Tschechien. Petr und David Cizmar leben in Dresden. Für die Fahrt nach Berlin haben beide aus einem 3-D-Drucker einen Bilderrahmen gezaubert. Dort hinein kommt ein Foto von Nada Cizmar, das am Gedenkort an der Gedächtniskirche stehen soll. Das alte ist verblasst. Sie wird auf Fotos nie älter als 34 sein. David wird bald neun. Auch zu Hause wollen Vater und Sohn Fotos aufhängen. Von früher. „Aber auch von unserem Leben seitdem. Unser Leben hat nicht aufgehört. Das soll auch sichtbar sein“, sagt Petr Cizmar.

Cizmar stammt aus Tschechien. Er ist Physiker und hat einige Jahre in den USA gearbeitet, bevor er mit der Familie nach Deutschland zog. Er spricht drei Sprachen. Ratschläge hat er als alleinerziehender Vater in den vergangenen Jahren viele bekommen. Dazu zählte auch, dass er doch seine Arbeitszeit reduzieren solle. „Ich möchte das aber nicht.“ Kleiderfalten, das sei nicht so sein Ding. „Ich mag Halbleiter lieber.“ Vater und Sohn haben nun eine Haushaltshilfe.

Manchmal verhielten sich Menschen anders, wenn sie erführen, warum Davids Mutter gestorben sei. „Sie denken dann, dass er eine besondere Betreuung braucht. Aber das möchte ich nicht. Ich möchte, dass er betreut wird wie andere Kinder auch. Eine Opferrolle will ich nicht für ihn.“

Als Anfang Dezember ein Mann im Warteraum einer tschechischen Klinik sechs Menschen erschoss, hat sich Cizmar gefragt, ob man diese Tat hätte verhindern können. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich ein vermutlich psychisch kranker Täter kaum hätte aufhalten lassen. Dann sagt er: „Bei Anis Amri war das anders. Die Behörden kannten ihn.“ Der Attentäter von Berlin, er sei nicht aus dem Nichts gekommen.

Zwölf Menschen hat Anis Amri getötet, als er mit einem gestohlenen Lastwagen in den gut besuchten Weihnachtsmarkt raste. Rund hundert Besucher verletzte er. Ein Mensch müsse noch immer rund um die Uhr gepflegt werden, sagt Edgar Franke, Opferbeauftragter der Bundesregierung. Mindestens ein Dutzend Menschen erhielten seit dem Anschlag Pflegeleistungen.

Er allein kenne zwanzig Betroffene, die nach wie vor unter den psychischen Folgen dieser schrecklichen Tat litten, ergänzt Franke. „Von ebenso vielen weiß ich, dass sie bislang ihrer Arbeit nicht wie vor dem Anschlag nachgehen können.“ Das Bedürfnis nach Gesprächen sei noch immer groß. Vor allem gehe es um finanzielle Entschädigung, Erwerbsminderungsrenten oder den Wiedereinstieg in den Beruf. Bisher seien 4,3 Millionen Euro an die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags geflossen. Cizmar treibt noch etwas anderes um, wenn er an den Anschlag denkt. „Es ist peinlich, dass nach drei Jahren immer noch niemand sagt, wer verantwortlich ist“, sagt er. „Obwohl es so viel Versagen in den Behörden gab und so viele Fehler auch schon bekannt geworden sind.“

Cizmar hilft es, dass es eine Gruppe von Hinterbliebenen gibt. „Diese Menschen sind für mich so etwas wie Mitkämpfer, so verschieden sie auch mit ihrem Leid umgehen.“ Die Treffen, jedes Jahr am 19. Dezember, hätten für ihn aber immer auch etwas Trauriges. „Es ist ja kein Hobby oder so etwas, das uns zufällig zusammengeführt hat. Es war der Tod unserer nächsten Angehörigen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort