Terroralarm im Schnellzug

Rotterdam · Knapp einen Monat ist es her, dass im internationalen Zug Thalys ein Anschlag verhindert wurde. Gestern hielt erneut ein Zwischenfall die Polizei in Atem. Ob der Verdächtige terroristische Absichten hatte, blieb zunächst unklar.

Um kurz nach sieben Uhr am Freitagmorgen ist die Angst vor dem Terror plötzlich wieder da. Nur wenige Augenblicke, bevor der Thalys-Hochgeschwindigkeitszug THA 9310 den Hauptbahnhof Rotterdam verlassen soll, stürmt ein junger Mann mit einem Rucksack auf den Bahnsteig und springt auf den Zug. Polizisten hetzen ihm hinterher, versuchen ihn zu stoppen. Sie kommen zu spät, der junge Mann sperrt sich in der Toilette ein. Ein Passagier will eine Waffe in seiner Hand gesehen haben. Die Beamten lassen den Zug räumen, rund 300 Passagiere werden in Sicherheit gebracht, ein Anti-Terror-Team rückt an, Rotterdam Centraal wird gesperrt, Scharfschützen gehen in Stellung. Über zwei Stunden später wird der Mann festgenommen. Eine Waffe wird nicht gefunden, auch kein Sprengstoff.

"Wir mussten reagieren", begründet Polizeisprecherin Patricia Wessels die Aktion. "Wir konnten nicht einschätzen, wie groß die Gefahr wirklich war." Es schien wie eine Neuauflage des Albtraums vom 21. August, als ein schwer bewaffneter Mann ebenfalls an Bord eines Thalys nur durch das beherzte Eingreifen von Fahrgästen daran gehindert werden konnte, ein Blutbad anzurichten. Der 25-jährige Marokkaner wollte eine "große Zahl Menschen töten oder schwer verletzen", resümierte damals die französische Staatsanwaltschaft.

Die Aktion in Rotterdam gibt Rätsel auf. Der verhaftete junge Mann wird zunächst in ein Krankenhaus gebracht, weil er zu hyperventilieren drohte. Ob es sich wirklich um einen Extremisten oder nur einen verirrten Fahrgast gehandelt hat - die Polizei konnte bis gestern Nachmittag noch keine genaueren Angaben machen. Doch die Nervosität bleibt. Vor allem weil eine gute Stunde später - genau zu der Zeit, als der Thalys 9310 die belgische Stadt Antwerpen erreichen sollte - auf einem dortigen Bahnsteig ein verdächtiges Gepäckstück gefunden wird. Auch in Belgien räumt man die Bahnhofshalle, stoppt den Zugverkehr, Spezialisten zur Entschärfung von Sprengstoffen rücken an. Der schlimme Verdacht eines Zusammenhangs mit Rotterdam wird zunächst nicht bestätigt. Doch die Auswirkungen sind schwerwiegend.

Schon in den vergangenen Tagen und als Konsequenz aus den Schüssen vom 21. August hatten die niederländischen und belgischen Behörden die Überwachung der Thalys-Züge drastisch verschärft. Bewaffnete Polizisten nehmen die Bahnsteige und die Reisenden in Augenschein, wenn die roten Hochgeschwindigkeitszüge einfahren, Sprengstoffhunde laufen zwischen den Gepäckstücken hin und her. Nach der Abfahrt durchkämmen Polizisten jeden einzelnen Waggon. Doch dieser Schutz hat große Lücken. Weder in Köln noch in Aachen, den beiden deutschen Thalys-Stationen, gibt es vergleichbare Sicherheitsvorkehrungen.

Anfang September hatten sich die EU-Innenminister auf mehr Kontrollen im Zug und eine Einführung von Namenstickets verständigt. Aber die gehören bei den Highspeed-Zügen unserer Nachbarn ohnehin längst zum Alltag. Außerhalb Deutschlands müssen Fahrgäste auch seit Jahren ihre Tickets vor dem Einstieg vorzeigen. Hierzulande nicht. Bisher wollten die Innen-und Verkehrsminister von generellen Sicherheitskontrollen nichts wissen, obwohl diese in Spanien und an Stationen des Eurostar Richtung Großbritannien praktiziert werden. Ob sie nun ausgeweitet werden?

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HintergrundIn Deutschland sind für die Sicherheit in Zügen und auf Bahnhöfen die Bundespolizei , die Polizei der Länder und die eigenen Sicherheitskräfte der Deutschen Bahn zuständig. Unterstützung erhalten sie nach Angaben der Bahn von 4800 Zugbegleitern im Nah- und 4000 Zugbegleitern im Fernverkehr. Deren Aufgabe ist es, notfalls in kürzester Zeit Hilfe zu holen. Laut Bundespolizei liegen hierzulande keine Hinweise auf Anschlagsplanungen gegen den schienengebundenen Bahnverkehr vor. ine

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