Termin für den Abzug aus Afghanistan kippt

Brüssel · Seit fünf Jahren hat die Nato einen Plan für den Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan. Bisher hat sie sich daran gehalten. Der Vormarsch der Taliban in Kundus hat nun alles durcheinander gebracht.

Angesichts der Offensive der radikal-islamischen Taliban in Afghanistan hat sich Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU ) dafür ausgesprochen, beim geplanten vollständigen Abzug der internationalen Truppen flexibel auf die Sicherheitslage zu reagieren. Die Situation im nordafghanischen Kundus zeige, dass das Land noch nicht stabilisiert sei, sagte von der Leyen gestern beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel . Sie werde deshalb im Bündnis "dafür werben, dass wir den Rückzug aus Afghanistan nicht nach einem starren Kalender vornehmen", sondern "Schritt für Schritt" vorgegangen werde.

Die Taliban hatten Kundus, wo die Bundeswehr jahrelang stationiert war, Ende September in einer Blitzoffensive erobert. Die afghanischen Sicherheitskräfte konnten die Stadt erst nach mehreren Tagen mit internationaler Unterstützung zurückerobern. Kundus zeige, dass der gemeinsame Weg mit den Afghanen "noch nicht zu Ende gegangen ist, sondern dass wir ihn noch länger gehen müssen", sagte von der Leyen bei dem Treffen in Brüssel .

Die Nato hatte ihre Kampfmission in Afghanistan vor neun Monaten offiziell beendet. Heute ist das Bündnis noch mit 13 000 Soldaten - darunter mehr als 800 Deutsche - vor allem zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Streitkräfte im Land. Der Einsatz ist bisher bis Ende 2016 angelegt.

US-Verteidigungsminister Ashton Carter sagte bei dem Nato-Treffen, die bisherigen Pläne für einen weitgehenden Rückzug bis Ende 2016 müssten den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Mehrere Mitgliedstaaten hätten sich schon dazu bereit erklärt. Carter sagte, man spreche nun über Truppenstärken und Finanzierung der afghanischen Streitkräfte "sowohl in 2016 als auch in den Jahren danach". Er habe alle Partner gebeten, flexibel zu bleiben.

Indes halten zwei Drittel der Bundesbürger das deutsche Engagement in Afghanistan für politisch gescheitert. Das geht aus einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov hervor. 64 Prozent der 1172 Befragten glauben demnach nicht, dass die afghanische Armee die Taliban ohne internationale Unterstützung besiegen kann. Nur 15 Prozent meinen, dass das möglich wäre. Trotzdem ist eine Mehrheit von 53 Prozent für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

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Am RandeNach der Entschuldigung von US-Präsident Barack Obama hat die Organisation Ärzte ohne Grenzen den USA eine absichtliche Bombardierung ihres Krankenhauses im nordafghanischen Kundus vorgeworfen. "Es war ein vorsätzlicher Schlag", sagte der Generaldirektor der Organisation, Christopher Stokes, gestern in Kabul. Es handele sich nicht um einen "Kollateralschaden". Die Luftschläge seien sehr präzise gewesen und hätten das Hauptgebäude anvisiert, sagte Stokes. Auch nachdem Kontakt mit dem afghanischen und US-Militär aufgenommen worden war, hätten die Angriffe noch mehr als eine Stunde angehalten.Bei dem Angriff auf die von Ärzte ohne Grenzen betriebene Klinik waren am Samstag 22 Menschen gestorben. dpa

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