Ukraines Präsident Selensky telefoniert mit Putin Tauwetter zwischen Kiew und Moskau?

Kiew/Moskau/Paris · Der ukrainische Präsident Selenskyi bringt mit seinem Anruf bei Putin Bewegung in den festgefahrenen Prozess um eine Lösung des Ukraine-Konflikts.

  Das Eis scheint gebrochen: Kreml-Chef Putin (l) und Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine.

Das Eis scheint gebrochen: Kreml-Chef Putin (l) und Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine.

Foto: dpa/Lovetsky

Erst eine Videobotschaft, das Angebot eines Treffens und nun ein überraschender Anruf: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj geht auf den Kremlchef Wladimir Putin zu. Zum ersten Mal überhaupt, etwa 20 Minuten lang, telefonieren die beiden Politiker, die den seit Jahren festgefahrenen Ukraine-Konflikt lösen könnten. Seit Wochen ist von einem möglichen Dialog die Rede. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat mit Selenskyj und Putin immer wieder gesprochen. Nun ist das Eis gebrochen, wie in Kiew und in Moskau am Freitag zu hören ist.

Der 41-jährige Selenskyj macht den ersten Schritt, nachdem sich Putin seit der Wahl am 21. April zwar freundlich äußerte über den neuen Präsidenten, aber bisher nicht gratulieren mochte. Beide kommunizierten nur über Vermittler und Videoclips miteinander. Selenskyj sei einmal ein talentierter Komiker gewesen, müsse aber nun im höchsten Staatsamt erst noch Format beweisen, hatte Putin immer wieder gesagt. Dabei schwang auch mit, dass schon der junge Kollege den Anfang machen müsse.

Zwar haben auch Putin und Poroschenko hin und wieder telefoniert – eine gemeinsame Ebene fanden sie aber nicht. Da ist es ganz nach Putins Geschmack, der gern hoch zu Ross zeigt, dass sich nun der Neuling an ihn wendet. Der Konflikt in der Ukraine sei außerdem ein innenpolitischer und müsse dort gelöst werden, betont der russische Präsident stets. Dass Selenskyj mit seinem Anruf Putin die Hand zum Kennenlernen reicht, lobt der Kreml als wichtigen Schritt.

Putins Sprecher Dmitri Peskow signalisiert deutlich, was nun in Kiew und Moskau fast schon als abgemachte Sache gilt: Schon bald dürften wohl alle oder fast alle Gefangenen auf beiden Seiten auf freien Fuß kommen. Selenskyj hat immer wieder versprochen, alles dafür zu tun, um etwa die 24 in Russland inhaftierten Seeleute zurück in die Heimat zu holen.

Die Matrosen sitzen seit November im Gefängnis, weil sie aus Sicht Moskaus bei einem Zwischenfall in der Meerenge von Kertsch in der Schwarzmeer-Region gezielt die russische Grenze verletzt hatten.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Selenskyj ausgerechnet jetzt zum Hörer greift. In der Ukraine wird in gut einer Woche am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Umfragen sehen Selenskyjs Partei Diener des Volkes, die bisher nicht im Parlament vertreten ist, als haushohen Favoriten. Und mit Genugtuung sieht Russland in den Umfragen auch, dass insgesamt Kräfte an Zuspruch gewinnen, die wieder für ein besseres Verhältnis beider Länder eintreten. Die „Kriegspartei“ in Kiew dagegen sieht sich seit der Abwahl von Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko in der Defensive.

In Gesprächen mit Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat sich Selenskyj immer wieder dazu bekannt, den 2015 in der weißrussischen Hauptstadt Minsk vereinbarten Friedensplan für das Kriegsgebiet Donbass umzusetzen. Die Kämpfe der aus Russland unterstützten Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen dauern aber an.

Um die Schritte des Friedensplans umzusetzen, braucht Selenskyj eine starke Mehrheit im Parlament. Die neue Oberste Rada muss etwa über erleichterte Rentenzahlungen und die Wiederherstellung der Wirtschaftsbeziehungen zu den umkämpften Regionen Luhansk und Donezk entscheiden. Für die im Friedensplan vereinbarte sprachliche und kulturelle Autonomie bräuchte er aber eine Zweidrittelmehrheit.

Eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche und gewisse Fortschritte seien möglich, sagt der ukrainische Politologe Wladimir Fessenko. Selenskyj wolle ein rasches Ende der Kampfhandlungen. „Aber entscheidend hängt all das von Putin ab – und nicht von Selenskyj“, sagt er. Der prorussische Rada-Abgeordnete Wadim Nowinski meint in der Moskauer Zeitung „Iswestija“: „Hoffen wir, dass nach den Wahlen jene Vertreter des Volkes in der Rada sein werden, die Frieden wollen – wie 70 Prozent der Ukrainer.“

Bei neuen Gesprächen im sogenannten Normandie-Format – Deutschland, Frankreich, Ukraine und Russland – loteten die vier Länder am Freitag auf Beraterebene in Paris aus, wie es nun weitergehen kann. Dem Vernehmen nach prüfen sie, wann ein neuer Gipfel möglich ist.

Selenskyj hat schon eine neues Treffen in Minsk vorgeschlagen. Putin hat die Bereitschaft dazu signalisiert, will aber erst zusagen, wenn bei einem Gipfel Minsk-2 auch konkrete Ergebnisse zu erwarten sind.
Dabei geht es aus russischer Sicht immer nur darum, eine Lösung für den Donbass zu finden. Eine Rückgabe der Schwarzmeer-Halbinsel Krim an die Ukraine, die Selenskyj auch immer wieder gefordert hat, steht dabei aber nicht zur Debatte.

In Berlin wartet man sehnsüchtig auf ein neues Treffen im Normandie-Format. Der Ukraine-Konflikt ist die einzige Krise, bei der Deutschland in der ersten Reihe als Vermittler mitspielt. Seit dem letzten Gipfeltreffen in Berlin 2016 hat die Vierer-Gruppe aber noch nicht einmal mehr kleine Fortschritte zustande gebracht.

ARCHIV - 08.07.2019, Berlin: KOMBO - Wladimir Putin (l), Staatspräsident von Russland, und Wolodymyr Selenskyj, Staatspräsident der Ukraine. (zu dpa «Putin und Selenskyj sprechen über Ukraine-Konflikt») Foto: Lahodynskyj/Lovetsky/The Canadian Press/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

ARCHIV - 08.07.2019, Berlin: KOMBO - Wladimir Putin (l), Staatspräsident von Russland, und Wolodymyr Selenskyj, Staatspräsident der Ukraine. (zu dpa «Putin und Selenskyj sprechen über Ukraine-Konflikt») Foto: Lahodynskyj/Lovetsky/The Canadian Press/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Lovetsky

Die von Selenskyj ins Spiel gebrachte Erweiterung der Runde um Großbritannien und die USA wird von deutscher Seite als nicht besonders hilfreich angesehen – wohl auch, weil das Agieren von US-Präsident Donald Trump und seiner Regierung in anderen Krisen kritisch gesehen wird. 

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