Sudetendeutsche setzen auf Versöhnung

Augsburg · Die Sudetendeutschen sehen sich an einem Wendepunkt im Verhältnis zu Tschechien. Den Streit um die Benesch-Dekrete, die die Vertreibung legitimierten, solle begraben werden, hieß es auf dem Pfingsttreffen der Sudetendeutschen.

Vor allem der München-Besuch des tschechischen Ministerpräsidenten Petr Necas vor einigen Monaten in München hat bewirkt, dass auf dem 64. Sudetendeutschen Tag in Augsburg ein etwas anderer Wind wehte als in all den Jahren zuvor. "Wir stehen an einem Wendepunkt", sagte der Sprecher der Sudetendeutsche Volksgruppe Bernd Posselt. Die "neue Offenheit" müsse jetzt ausgebaut werden, sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU).

Mit einer Rede im bayerischen Landtag, in denen er die Sudetendeutsche als "Landsleute" ansprach und sich für das Unrecht der Vertreibung entschuldigt hatte, hatte Necas das Tor zur Verständigung zwischen den Sudetendeutschen und ihrem Schirmland Bayern einerseits und der Tschechischen Republik andererseits so weit aufgestoßen wie nie zuvor. Damit sei auch in dem Menschen Petr Necas etwas in Bewegung gekommen, begeisterte sich Sudeten-Sprecher Posselt auf dem Augsburger Treffen: "Das ist hundertmal mehr wert als irgendwelche Formelkompromisse."

Tschechiens Staatspräsident Milos Zeman hatte mit einem Interview aber gleich wieder den Rückwärtsgang eingelegt und behauptet, die Vertreibung sei "moderater" gewesen als die Todesstrafe für die Sudetendeutsche als Kollaborateure des Hitler-Regimes. Es habe ihn "erschreckt", dass Zeman ungeniert aufs Neue die "antideutsche Karte" gezogen habe, sagte der Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft Franz Pany.

Auf dem Sudetendeutschen Tag wollte man sich dennoch lieber an Necas als an Zeman halten. Auch Ministerpräsident Seehofer ging davon aus, dass es nun mit dem bayerisch- und sudetendeutsch-tschechischen Dialog vorangeht. Seehofer war nach Jahrzehnten der gegenseitigen Vorwürfe der erste bayerische Ministerpräsident, der zu einem offiziellen Besuch ins Nachbarland aufgebrochen war. Wegen seiner Rolle als "Eisbrecher, geduldiger Brückenbauer und Antreiber" erhielt er jetzt den Europäischen Karlspreis der Sudetendeutschen.

Ein bleibendes Ziel der Sudetendeutschen bleibt die Annullierung der sogenannten Benesch-Dekrete, welche Verbrechen an den Deutschen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute straflos stellen. Diese Dekrete seien "eine Art Zombie", erläuterte Posselt: Immer wieder tauchten sie auf und verbreiteten Angst und Schrecken. "Lasst uns gemeinsam endlich diese Zombies begraben", appellierte der sudetendeutsche Sprecher an die tschechische Seite, die mit so vielen Politikern wie wohl noch nie auf dem Sudetendeutschen Tag präsent war. Eine gemeinsame Landesausstellung mit Veranstaltungsorten in Bayern und Tschechien sowie ein offizielles Verbindungsbüro des Freistaats Bayern in Prag, direkt angebunden an die Staatskanzlei, sollen den politischen Dialog nach den Worten Seehofers "dauerhaft weiterführen und vertiefen". Dieses Büro solle nichts weniger als eine "diplomatische Vertretung des Freistaats" im Nachbarland werden.

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