Umfrage unter Opfern Studie sieht hohe Dunkelziffer bei Gewalt durch Polizisten

Bochum/Saarbrücken · Wie oft werden Bürger in Deutschland Opfer ihrer Polizei? Abseits der amtlichen Statistik haben Bochumer Wissenschaftler erstmals tausende Betroffene befragt.

 Der Schutzhelm als Waffe? Auch Polizisten begehen Straftaten. Wie viele genau, weiß niemand.

Der Schutzhelm als Waffe? Auch Polizisten begehen Straftaten. Wie viele genau, weiß niemand.

Foto: dpa/Marius Becker

Der Schlag traf ihn aus heiterem Himmel. Ralf W. (Name geändert) hatte in Siegburg gegen einen Neonazi-Aufmarsch demonstriert. Die Atmosphäre sei völlig entspannt gewesen. Dann brach ein Polizeihelm dem Familienvater die Nase. Auf einen Verdachtsfall von illegaler Polizeigewalt kommen in Deutschland nach Ansicht von Forschern mindestens fünf Fälle, die nicht einmal angezeigt werden. Das Dunkelfeld liegt demnach bei mindestens 10 000 mutmaßlichen Gewalttaten durch Polizisten pro Jahr. Eine präzise Zahl gibt es nicht. Wie das Landespolizeipräsidium im Saarland unserer Zeitung erst kürzlich auf Anfrage mitteilte, werden Taten, die durch Polizisten verübt werden, nicht als solche separat erfasst. Zahlen gebe es lediglich zur sogenannten Körperverletzung im Amt – im Saarland 17 Anzeigen im Jahr 2018. „Amt“ könnte jedoch auch Lehrer oder Gerichtsvollzieher bedeuten.

Dass das Thema trotz fehlender Zahlen relevant ist, zeigt das Ergebnis der ersten Studie zur Erforschung illegaler Polizeigewalt in Deutschland. Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum haben am Dienstag einen Zwischenbericht der Studie „Körperverletzung im Amt“ veröffentlicht, für die knapp 3400 mutmaßliche Opfer von Polizeigewalt Auskunft gaben. Laut amtlicher Statistik wird wegen 2000 Verdachtsfällen illegaler Polizeigewalt gegen rund 4000 Polizisten im Jahr ermittelt. Das sogenannte Hellfeld. Mit dem Verhältnis von 1:5 von Hell- zu Dunkelfeld sei man sehr vorsichtig gewesen, denn eigentlich habe die Studie sogar 1:6 ergeben, sagt Professor Tobias Singelnstein.

Laut Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist ein Systemfehler angesichts von jährlich Millionen Polizeieinsätzen nicht erkennbar. „Die Polizei genießt in allen Umfragen großes Vertrauen“, sagt GdP-Chef Oliver Malchow. Möglicherweise werde oft keine Anzeige erstattet, um eigenes Fehlverhalten zu verdecken. Außerdem sei für die Forscher nicht überprüfbar, ob die Polizei im jeweiligen Fall nicht doch rechtmäßig gehandelt habe. Ein erhöhtes Risiko, Opfer eines polizeilichen Übergriffs zu werden, besteht den Wissenschaftlern zufolge bei Großveranstaltungen wie Demonstrationen oder am Rande von Fußballspielen. Die Forscher hatten Menschen um Teilnahme gebeten, die illegale Polizeigewalt erlebt haben. Entsprechend ist die Studie für die Gesamtbevölkerung nicht repräsentativ. 72 Prozent der Befragten sind Männer, durchschnittlich sind sie 26 Jahre alt und überdurchschnittlich gebildet. Mehr als zwei Drittel der Befragten (71 Prozent) berichteten von leichten und mittleren Verletzungen. Fast jeder Fünfte (19 Prozent) gab an, schwere Verletzungen erlitten zu haben. Ein Verfahren wurde laut Betroffenen in nur 14 Prozent der Fälle eingeleitet. Gegen eine Anzeige entschieden sich die Betroffenen vor allem, weil sie sich keine Chance ausrechneten oder eine Gegenanzeige befürchteten. Die Strafverfahren gegen gewalttätige Polizisten wiesen zudem eine auffallend hohe Quote an Einstellungen der Verfahren auf. Nur in sieben Prozent der angezeigten Fälle sei Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt worden.

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