Streit um CDU-Papier zur Integration

Berlin · Kaum ist der Streit um das Asylpaket II beigelegt, gibt es neuen Krach in der Koalition. Die SPD läuft Sturm gegen neue Vorschläge der CDU zur Integration.

Erst letzte Woche hatte sich die Koalition nach langem Streit über das Asylpaket II geeinigt. Doch noch bevor es Gesetz ist, drohen schon neue Konflikte. Die CDU will heute in ihrem Bundesvorstand über ein Papier zur "Integration von Schutzsuchenden" beraten, das die SPD auf die Barrikaden bringt. Grund ist vor allem die von der CDU verlangte Aussetzung des Mindestlohns für Flüchtlinge in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung. Das soll ihre Jobchancen erhöhen. Die Flüchtlinge würden damit praktisch so behandelt, als wären sie Langzeitarbeitslose. Entworfen hat das Papier , das unserer Zeitung vorliegt, eine Arbeitsgruppe um Generalsekretär Peter Tauber, Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und Parteivize Julia Klöckner . Angesichts der Autoren kann davon ausgegangen werden, dass CDU-Chefin Angela Merkel den Text kennt und billigt.

Auch Klöckners alte, in der SPD umstrittene Idee der verbindlichen Integrationsvereinbarungen findet sich in dem Papier wieder. Migranten, die die Vereinbarungen nicht einhalten, wird mit "spürbaren Konsequenzen" für ihren Aufenthaltsstatus und mit Leistungskürzungen gedroht. Anerkannte Kriegsflüchtlinge sollen nach Ablauf der üblichen dreijährigen Duldung nur dann eine Dauer-Aufenthaltsberechtigung erhalten, wenn sie Deutsch können, straffrei sind und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Auch den Wohnsitz will die Union den Flüchtlingen vorschreiben, um sie besser zu verteilen. Allerdings soll dies - offenbar mit Blick auf verfassungsrechtliche Bedenken - nur befristet für jene gelten, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen.

Das Papier beschwört das Prinzip von "Fördern und Fordern" und enthält auch zahlreiche Angebote an die Flüchtlinge. So sollen Sprachkurse schon im Aufnahmeverfahren beginnen. Auch eine Neuauflage der integrationsbegleitenden Kinderbetreuung ist geplant, damit alle Frauen die Kurse besuchen können. Für junge Flüchtlinge soll die Schulpflicht bis zum 25. Jahr verlängert werden, so dass sie bessere Chancen haben, einen Schulabschluss nachzuholen. Darüber hinaus soll eine Erstanalyse der beruflichen Fähigkeiten und Anerkennung möglicher Berufsabschlüsse schon in den Erstaufnahmeeinrichtungen erfolgen.

SPD-Vize Ralf Stegner machte der Union in Sachen Aussetzung des Mindestlohns schon eine klare Kampfansage: "Dafür werden wir nicht die Hände reichen", sagte er unserer Zeitung. Der Vorschlag sorge nur für Verteilungskämpfe unter den Ärmsten und schaffe sozialen Unfrieden. "Das ist Wasser auf die Mühlen der AfD". Ähnlich äußerte sich auch Partei-Generalsekretärin Katarina Barley. Stegner fand es immerhin positiv, dass sich die CDU "endlich" mit der Integration der Flüchtlinge befasse. Was herausgekommen sei, "taugt im Vergleich zu unseren Vorschlägen aber praktisch gar nichts", sagte Stegner. So fehle in dem Entwurf auch eine Aussage zu den Kosten. Ein weiterer Konfliktpunkt mit der SPD dürfte der alte sein: der Familiennachzug . Er hatte den Streit um das Asylpaket II geprägt; erst letzten Donnerstag hatte man sich darauf geeinigt, ihn, wie von der CSU gefordert, für zwei Jahre für alle Flüchtlinge mit dem niedrigsten ("subsidiären") Schutzstatuts auszusetzen. Danach soll er aber wieder möglich sein, darauf hatte die SPD bestanden. Nun verlangt die CDU in ihrem Papier , den Familiennachzug auch nach den zwei Jahren an Straffreiheit, Job und die erfolgreiche Teilnahme an Integrationsmaßnahmen zu knüpfen. Alles andere sei "europarechtlich nicht erforderlich".Der Grünen-Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer , spricht sich in der Flüchtlingspolitik für einen härteren Kurs aus und erntet dafür scharfe Kritik aus den eigenen Reihen. "Es sind nicht die Zeiten für Pippi-Langstrumpf- oder Ponyhof-Politik", sagte Palmer dem "Spiegel". "Wir müssen die unkontrollierte Einwanderung beenden. Das bedeutet nicht, dass wir niemanden mehr reinlassen, aber wir entscheiden, wer reinkommt." Die EU-Außengrenzen sollen nach dem Willen Palmers mit einem Zaun und bewaffneten Grenzern gesichert werden, um deutlich mehr Flüchtlinge als bisher abzuweisen. Er sei dafür, dass Deutschland großzügig Menschen in Not aufnimmt, aber eben nicht alle. Palmer forderte die Grünen auf, die von der Union geforderte Erweiterung der Liste sogenannter sicherer Herkunftsländer nicht im Bundesrat zu blockieren.

Proteste von Grünen-Politikern ließen nicht lange auf sich warten - auch mit Blick auf die Wahl in Baden-Württemberg am 13. März. Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter warf Palmer vor: "Wer Zäune und Mauern zur Begrenzung der Einwanderung von Flüchtlingen fordert, spielt in erster Linie rechten Hetzern in die Hände." Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Volker Beck , machte sich bei Twitter über Palmer lustig. "Ich glaube da hat ein OB zu viel Krummelus genascht", twitterte Beck in Anspielung auf Palmers Formulierung "Pippi-Langstrumpf-Politik". Krummelus-Pillen sind eine Wortschöpfung der Schriftstellerin Astrid Lindgren . Sie sollen in den Pippi-Langstrumpf-Kinderbüchern dafür sorgen, dass die Freunde Pipi, Annika und Thomas Kinder bleiben. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD ) hat eine "Agenda 2020" zur Bewältigung der Flüchtlingskrise gefordert. Im Zentrum des Reformprogramms müsse ein Integrationsgesetz stehen, sagte Schröder der Funke-Mediengruppe. "Von der Frage, wie die Flüchtlinge integriert werden, wird abhängen, ob die Gesellschaft die Flüchtlinge als Belastung oder als Chance wahrnimmt." Ein Integrationsgesetz muss nach Schröders Vorstellung Sprachförderung, Schulausbildung sowie die Bereitstellung von Wohnungen und Arbeitsplätzen regeln. "Auch die Finanzierung muss geklärt werden, denn Länder und Kommunen dürfen nicht die Hauptlast tragen." Der Altkanzler forderte darüber hinaus "ein neues Zuwanderungsgesetz".

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