Straßburger Gericht rügt Ukraine

Straßburg · Die Ukraine hat Oppositionsführerin Julia Timoschenko nach Ansicht des Menschenrechts-Gerichtshofs 2011 zu Unrecht verhaftet. Die damalige Untersuchungshaft der Ex-Regierungschefin sei willkürlich gewesen, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Zur Haftstrafe nach ihrer Verurteilung nahm das Gericht nicht Stellung. Timoschenkos Beschwerden über ihre Haftbedingungen wurden abgewiesen.

Timoschenko zeigte sich über das Urteil hoch erfreut. Ihre Anhänger in der Ex-Sowjetrepublik, die USA und Europaparlamentarier forderten Präsident Viktor Janukowitsch auf, seine Erzrivalin umgehend freizulassen. Die Europäische Union und die Bundesregierung mahnten Justizreformen im zweitgrößten Flächenstaat Europas an.

"Wir erwarten von der ukrainischen Führung, dass sie die Gerichtsentscheidung respektiert", sagte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle gestern. Die Ukraine kündigte an, das Urteil zu prüfen und binnen drei Monaten zu reagieren. Justizminister Alexander Larinowitsch sagte in einer ersten Reaktion jedoch, er sehe keinen Grund für eine sofortige Freilassung.

In ihrer Begründung deuten die Straßburger Richter an, dass sie politische Motive für die Inhaftierung im August 2011 vermuten. Das Urteil bedeutet aber nicht, dass die in Haft erkrankte Timoschenko automatisch freikommt. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig; Kiew kann die Verweisung an die Große Kammer des Gerichtshofs beantragen.

Timoschenko teilte mit, sie sei ungeachtet ihrer Haft "nach dem Urteil des Gerichts bereits moralisch frei". Ihr Verteidiger Sergej Wlassenko forderte, die Politikerin müsse politisch und juristisch rehabilitiert werden.

Timoschenkos Tochter Jewgenija nannte das Urteil einen "Sieg". Die ukrainische Opposition klammert sich an die Hoffnung, ihre Anführerin bald aus dem überwachten Krankenhauszimmer herausholen zu können. Der ukrainische Staat will genau das verhindern. Während die inhaftierte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko meint, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe sie "praktisch als politische Gefangene anerkannt", verweist der ukrainische Ministerpräsident Mikola Asarow darauf, dass im Urteil "nirgendwo die Rede von politischer Motivation" sei. Beide Lager klammern sich an den Richterspruch aus Straßburg. Beide dürften sie damit scheitern: Timoschenko wird nicht so leicht freigelassen, Janukowitsch nicht so leicht das Aussoziierungsabkommen mit der EU unterschreiben können.

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