Stopp-Signal gegen die organisierte Sterbehilfe

Berlin · Der Bundestag hat ein eindeutiges Zeichen gesetzt: Organisierte Hilfe beim Suizid steht künftig unter Strafe. Die Regelung blieb bis zuletzt umstritten. Der Fraktionszwang war bei der Abstimmung aufgehoben.

Eine Überraschung gab es dann doch: Nämlich dass es so klar ausging. Bereits im ersten Abstimmungsgang hat sich der Bundestag gestern für ein strafrechtliches Verbot jeglicher geschäftsmäßigen Sterbehilfe ausgesprochen und damit andere Vorstöße, die entweder lockerere oder noch schärfere Regelungen anstrebten, abgelehnt. Die Abstimmung war den Abgeordneten freigegeben worden, der Fraktionszwang galt nicht.

Ein Name, der auch gestern in vielen Reden genannt wurde, spielt für das Verständnis der Diskussion eine zentrale Rolle: Roger Kusch , Ex-Justizsenator in Hamburg, der 2008 einen Verein Sterbehilfe gegründet und eine Art Selbsttötungsautomaten präsentiert hatte. 8000 Euro sollte damit jeder Suizid kosten. Damals wurde der Ruf nach einer Reaktion des Gesetzgebers laut. In der letzten Legislaturperiode legte die schwarz-gelbe Regierung einen Gesetzentwurf vor, der nur die kommerzielle Sterbehilfe erfasste, nicht aber die von Sterbehilfevereinen angebotene Variante. Das rief in der Union und bei den Kirchen massive Widerstände hervor. Ein schärferes Gesetz aber wollten die Liberalen nicht, so dass Angela Merkel, damals schon Kanzlerin, die Entscheidung lieber wieder absetzte.

In der großen Koalition nun war das Thema von vornherein freigegeben worden. Nach einer so genannten "Orientierungsdebatte" vor einem Jahr formierten sich im Bundestag vier Gruppen und formulierten Anträge. Alle betrafen die passive Beihilfe zum Suzid, etwa das Bereitstellen eines Giftcocktails. Die aktive Sterbehilfe ist und bleibt in Deutschland sowieso verboten. Die extremste Position lehnte jegliche Beschränkung ab (unter anderem Renate Künast , Grüne, und andere). Sie kam am Ende auf nur 52 Stimmen. Noch weniger erhielt mit 37 Stimmen die Gegenseite, die ein Totalverbot anstrebte (Patrick Sensburg, CDU , und andere). Der siegreiche Antrag (309 Stimmen in der ersten, 360 in der Schlussabstimmung) sieht ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe vor, ob kommerziell oder nicht (Michael Brand, CDU , und andere). Ein weiterer Antrag wollte Ärzten eine Beihilfe, auch mehrfach, ausdrücklich erlauben (Peter Hintze , CDU , und andere, 128 Stimmen). Schon im Vorfeld hatten sich viele Abgeordnete als Mitunterzeichner für die eine oder andere Position geoutet - die weitaus meisten für den letztlich siegreichen Antrag. Angela Merkel hatte sich zurückgehalten. Auch gestern redete sie nicht, votierte in namentlicher Abstimmung aber mit der Mehrheit.

Die Debatte wurde, wohl auch wegen des langen Vorlaufs, keine Sternstunde des Parlaments, wie man sie sonst bei ethischen Themen schon erlebt hat. Nach einer halben Stunde und den ersten Rednern für jeden Antrag war im Grunde alles gesagt. Der zuvor volle Plenarsaal leerte sich und auf der Regierungsbank blieb nur Finanzminister Wolfgangs Schäuble auf seinem Posten. Viele Vorträge glichen juristischen Pro-Seminaren, in denen es vor allem um die Frage ging, ob das von der größten Gruppe geforderte Verbot jeglicher "geschäftsmäßigen" Selbsttötungshilfe genügend abgegrenzt sei von "wiederholten" Beihilfen durch Ärzte. Letztere wollten auch die Vertreter der am Ende siegreichen Position nicht treffen.

Einige Redner bemühten eigene Erfahrungen oder Schicksale. Lisa Paus von den Grünen, Befürworterin des Hintze-Antrages, schilderte, dass ihr vor einigen Jahren an Lungenkrebs gestorbener Lebensgefährte letzten Lebensmut auch deshalb gehabt habe, weil er sich im Besitz von Selbstmordmedikamenten für den Notfall wusste. Er benutzte sie dann aber doch nicht. Veronika Bellmann (CDU ), Befürworterin eines Totalverbots, schilderte, wie sie und ihre Familie die Mutter auf ihrem letzten Weg begleiten. Und Rudolf Henke, 61-jähriger Arzt und CDU-Mitglied, erzählte, dass er als 25-Jähriger einmal in einer Beziehungskrise mit Selbstmordgedanken gespielt habe. "Es hätte nur eines kleinen Zuredens bedurft, und ich wäre heute nicht hier."

Insgesamt blieben die Reden aber erstaunlich unemotional. Erfrischend war allerdings zu sehen, wie sich durch die Aufhebung des Fraktionszwanges Abgeordnete unterschiedlichster Richtungen gegenseitig unterstützten - und aus ein und derselben Fraktion jetzt aneinander gerieten. Es zählte eben das Argument, nicht die Partei, auch durfte jeder gleich lang, fünf Minuten, reden, und nicht die großen Fraktionen länger. Das Parlament erwies sich seines Namens würdig.

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