Steinbrücks Flucht nach vorn
Das Bild, das Peer Steinbrück da oben auf dem Podium in der SPD-Parteizentrale von sich vermittelt, hat schon etwas Heldenhaftes. Er, der Kanzlerkandidat, der innerhalb weniger Jahre über eine Million Euro durch Vorträge verdient hat, ist schonungslos gegen sich selbst. Umfassender als alle anderen Politiker legt er seine Nebenverdienste offen. Das ist ihm wichtig. Ein Vorreiter eben
Das Bild, das Peer Steinbrück da oben auf dem Podium in der SPD-Parteizentrale von sich vermittelt, hat schon etwas Heldenhaftes. Er, der Kanzlerkandidat, der innerhalb weniger Jahre über eine Million Euro durch Vorträge verdient hat, ist schonungslos gegen sich selbst. Umfassender als alle anderen Politiker legt er seine Nebenverdienste offen. Das ist ihm wichtig. Ein Vorreiter eben. "Mit meiner Veröffentlichung möchte ich ein Beispiel geben, das jetzt andere Parteien des Bundestages aufnehmen sollten", betont der ehemalige Finanzminister. Eigentlich ist das aber nur Steinbrücks Flucht nach vorn.Imposant ist vor allem die Höhe seiner Einnahmen. In drei Jahren hat er 89 Vorträge gehalten, davon 74 mit einem Standardhonorar von 15 000 Euro. So viel bekam er auch für einen Vortrag vor Firmenkunden der Bank 1 Saar im Weltkulturerbe Völklinger Hütte im November 2010, plus 421,99 Euro Nebenkosten. "Pro Vortrag habe ich damit im Durchschnitt 14 000 Euro brutto erhalten, die ich mit 48 Prozent versteuerte habe." Netto ergab sich daraus ein durchschnittliches Einkommen von 7300 Euro. Das ist jeweils ein stattliches Sümmchen. Aber Steinbrück betont auch: "In der gleichen Zeit habe ich 237 Vorträge unentgeltlich gehalten, bei Schulen, Universitäten, bei ehrenamtlichen Organisationen, bei Vereinen." Und in mehreren Fällen habe er auch noch die Veranstalter gebeten, das Geld an karitative Einrichtungen zu spenden. Nachzulesen ist das auf 20 Seiten, die auf Steinbrücks Internetseite abrufbar sind und die Wirtschaftsprüfer verfasst haben.
Den Experten erteilte der SPD-Spitzenkandidat vor wenigen Wochen den Auftrag, seine Vorträge und die Nebeneinkünfte genauestens unter die Lupe zu nehmen - Auftraggeber, Veranstalter, Anlass, Ort, Datum, genaues Honorar. Er habe für die Prüfung alle Unterlagen offen gelegt. Die Wirtschaftsprüfer hätten bestätigt, dass alles ordnungsgemäß sei. Abgesehen von zwei Vorträgen, die er im Oktober 2011 Bundestagspräsident Lammert nicht gemeldet habe. Versehentlich. Beide seien aber "unverdächtig", so Steinbrück. "Ich gehe damit weit über die derzeitige Transparenzrichtlinie hinaus, insbesondere durch die konkrete Honorarangabe in Höhe dessen, was ich brutto bekommen habe." Vorwerfen lassen will er sich nichts.
Er macht deshalb jetzt mehr als andere. Vor allem als jene, die ihn wegen seiner Vorträge so scharf kritisiert haben. Der Verdacht, er habe bei lukrativen Veranstaltungen andere Positionen zum Finanzmarkt oder zur Bankenregulierung vertreten als im Bundestag, sei absurd. Steinbrück ist gut vorbereitet, auch auf kleine Fallen, die ihm die Journalisten stellen wollen. Wie oft hat er an Sitzungstagen des Bundestages gefehlt wegen irgendwelcher Vorträge? Er habe 2009 und 2010 an sieben Sitzungstagen nicht teilgenommen, "an denen es namentliche Abstimmungen gegeben hat". 2011 an zwei Tagen. "Anwesenheit sagt aber nichts über politische Präsenz", schiebt er nach. Allerdings hat Steinbrück nicht nur in der Finanzbranche geredet, sondern auch bei "Küchen-Kompetenz-Tagen" oder einer "Hausmesse". Wieso das? Da habe er viele Menschen erreichen können, antwortet er. Dagegen lässt sich schwer etwas einwenden.
Gleichwohl fragt sich auch in Steinbrücks Partei mancher, wie die Millionen-Einkünfte wohl bei den SPD-Anhängern ankommen werden. Es könnte ja sein, dass ihm bei all den wichtigen Vorträgen vor wichtigen Menschen das Verständnis für den "kleinen Mann" abhanden gekommen ist. Das lässt Steinbrück nicht gelten. "Es hat auch Zeiten geben, wo ich nur 1000 Euro verdient habe. Wo ich übrigens auch arbeitslos gewesen bin." Er kenne die verschiedenen Welten genau und wisse, dass manche Menschen zu schlecht bezahlt würden. Aber wissen auch die SPD-Anhänger, dass er das weiß? Dafür muss Steinbrück jetzt noch sorgen.