Spekulationen, Machtkämpfe und Floskeln

Peking. Die Illusion, dass in Chinas Kommunistischen Partei so etwas wie Harmonie herrschen könnte, hält an diesem Donnerstagmorgen eine knappe Minute: Um Punkt neun Uhr beginnt die Militärkapelle in Pekings Großer Halle des Volkes zu spielen und Chinas Führung betritt im Gänsemarsch die mit roten Fahnen geschmückte Bühne. Die 2270 Delegierten im Saal erheben sich und applaudieren brav

Peking. Die Illusion, dass in Chinas Kommunistischen Partei so etwas wie Harmonie herrschen könnte, hält an diesem Donnerstagmorgen eine knappe Minute: Um Punkt neun Uhr beginnt die Militärkapelle in Pekings Großer Halle des Volkes zu spielen und Chinas Führung betritt im Gänsemarsch die mit roten Fahnen geschmückte Bühne. Die 2270 Delegierten im Saal erheben sich und applaudieren brav. An der Spitze marschiert Parteichef Hu Jintao, gefolgt von seinem greisen Vorgänger Jiang Zemin, dem das Laufen sichtlich schwerfällt.

Neue Führungsriege

Hu und Jiang sollen sich in den vergangenen Monaten einen erbitterten Machtkampf geliefert haben, einen von vielen. Wer sich dabei durchgesetzt hat, dürfte sich in den kommenden Tagen zeigen: Eine Woche lang will die Parteielite in Peking tagen und dann die neue Führungsriege vorstellen, die China in den kommenden zehn Jahren regieren soll. Dass Hu den Parteivorsitz an seinen bisherigen Stellvertreter Xi Jinping abgeben wird, gilt als sicher, doch über andere Posten wird noch spekuliert. Nach der Verteilung der Parteiämter soll die sogenannte "Fünfte Führungsgeneration" im kommenden Frühjahr bei der Jahrestagung von Chinas Parlament, dem Nationalen Volkskongress, auch die Regierung übernehmen.

Neben der Inthronisierung der neuen Parteispitze geht es für die scheidende Führung vor allem darum, sich bei ihrem Abschiedsparteitag ihren eigenen Eintrag in die chinesischen Geschichtsbücher zu schreiben. In einer 100-minütigen Rede zog Hu Jintao gestern Bilanz und umriss die Aufgaben seiner Nachfolger.

Auf dem "Weg des Sozialismus chinesischer Prägung" habe das Land in den vergangenen Jahren große Erfolge erzielt und "neue Siege beim umfassenden Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand errungen".

Spott in Internetforen

Nun müsse es sich allerdings neuen Herausforderungen stellen, erklärte er. Die schwächelnde Wirtschaft müsse wiederbelebt, die Kluft zwischen Arm und Reich verringert und die Umwelt besser geschützt werden. Ausführlich äußerte Hu sich auch zur grassierenden Korruption, die im Vorfeld des Parteitages zu mehreren Skandalen geführt hatte. Der prominenteste war der Fall von Chongqings Parteichef Bo Xilai, der noch zu Jahresbeginn als gesetzter Anwärter auf einen Topposten gegolten hatte, nun aber wegen schweren Amtsmissbrauchs vor Gericht gestellt werden soll. Zwar stellte Hu weitere Reformen in Aussicht, einer grundlegenden Erneuerung erteilte er aber eine Absage. China werde "niemals ein westliches politisches System kopieren". Für Parteibeobachter, die nach Signalen für neue Strömungen Ausschau halten, bot Hus mit monotoner Stimme vorgetragene Rede wenig Neues. Während die Staatsmedien den Parteitag groß in Szene setzen, ist das Interesse der Bevölkerung gering. Im Internetforen wurde die Veranstaltung mit Spott begleitet. "Hu Jintaos Rede ist so, als würde man Wachs essen", mokierte sich Mou Chuanheng, Autor des kritischen Internetforums Boxun. "Er ist voller Parteirhetorik, Worthülsen und Floskeln." bnt

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