Spanien wählt den Umbruch

Madrid · Die Spanier haben gestern nicht nur das Parlament neu gewählt, sondern eine neue Ära eingeläutet. Nach vielen Jahrzehnten wird das Zweiparteien-System zerbrechen.

Wahlschlappe für Spaniens konservativen Regierungschef Mariano Rajoy : Nach Hochrechnungen von gestern Abend blieben die Konservativen (PP) mit 28,34 Prozent zwar stärkste Partei. Sie mussten aber erhebliche Verluste hinnehmen und verloren ihre bisherige absolute Mehrheit. Bei der Wahl vor vier Jahren hatte die Volkspartei noch knapp 45 Prozent bekommen. Mangels tragfähiger Mehrheit könnte dieses Ergebnis das Ende der Regierungszeit Rajoys einleiten. Die oppositionellen Sozialisten (PSOE ) mit ihrem Spitzenmann Pedro Sánchez verloren ebenfalls, verteidigten aber mit 22,5 Prozent ihren zweiten Platz (2011: 29 Prozent).

Einen großen Erfolg verbuchte die linksalternative Protestpartei Podemos (Wir können), die erstmals in einer nationalen Wahl antrat. Podemos kam zusammen mit ihren regionalen Marken, die sich unter anderen Namen präsentierten, nach Auszählung von mehr als 70 Prozent der Stimmen auf 20,46 Prozent. Die liberale Plattform Ciudadanos (Bürger), die ebenfalls ersten Mal kandidierte, blieb hingegen hinter den Erwartungen zurück und holte nur 13,74 Prozent. Zudem haben noch mehrere kleine Links- und Regionalparteien Mandate errungen.

Ob der 60-jährige Rajoy weiterregieren kann, ist unklar, da er künftig einen politischen Partner brauchen wird, den er bisher nicht hat. Ein Machtwechsel in Spanien ist also nicht ausgeschlossen. Zumal sich eine neue Mehrheit mit Sozialisten , Podemos und kleineren Linksparteien ergeben könnte. Eine große Koalition wird von Konservativen wie S ozialisten abgelehnt. Die liberal-bürgerliche Partei Ciudadanos schloss aus, Konservative, Sozialisten oder Podemos bei einer Regierungsbildung zu unterstützen .

Die Wahl stand im Zeichen der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, die Armut und Arbeitslosigkeit auf bisher nicht gekannte Höhe trieben. Auch schwere Korruptionsskandale in den Reihen der Konservativen wie der Sozialisten schädigten die Glaubwürdigkeit der beiden Traditionsparteien.

Der Unmut in der Bevölkerung führte zur Geburt der Protestparteien. Die linksalternative Partei Podemos entstand vor zwei Jahren aus den massiven Straßenprotesten empörter Bürger gegen den harten Sparkurs der Regierung und gegen immer neue Korruptionsfälle in der Politik. Podemos-Chef Pablo Iglesias verspricht ärmeren Familien mehr Hilfen, will Wohlhabende und Unternehmensgewinne stärker besteuern und mit der EU eine Lockerung der Sparpolitik aushandeln. Podemos könnte sich vorstellen, mit den Sozialisten eine Koalition zu formen - eine Zusammenarbeit, die bereits in mehreren Städten und Regionen funktioniert.

Die liberale Bürgerplattform Ciudadanos stammt aus der abdriftenden Region Katalonien und kämpft dort seit zehn Jahren gegen die Unabhängigkeit und für die Einheit Spaniens. Vor einem Jahr wagte Parteichef Albert Rivera den Sprung auf die nationale Bühne und gewann mit seiner Forderung nach einer "sauberen Politik" ohne Korruption und Privilegien schnell Popularität. Rivera vertritt eine wirtschaftsliberale Politik, will di e aufgeblähte Verwaltung straffen, Steuern senken und ebenfalls die Sparpolitik lockern.

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