„Spanien ist ein anderes Land geworden“

Madrid · Die politische Landkarte von Spanien nimmt eine neue Färbung an. Knapp ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen werden Rajoys Konservative durch die alternative Linke in mehreren Metropolen von der Macht verdrängt.

Ihr Gehalt will Madrids neue Bürgermeisterin Manuela Carmena um mehr als die Hälfte auf 45 000 Euro im Jahr kürzen. Zur Arbeit werde sie mit dem Bus oder der U-Bahn ins Rathaus fahren, kündigte die pensionierte Richterin an. In den Schulen der spanischen Hauptstadt sollen die Kantinen in den Sommerferien Mahlzeiten für Kinder aus armen Familien ausgeben. "La abuela" (die Oma), wie die 71-Jährige von ihren Anhängern genannt wird, hat geschafft, was den Sozialisten (PSOE ) in 24 Jahren nicht gelungen war: Sie jagte der konservativen Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy , die seit 1991 in Madrid regiert hat, deren Hochburg ab. Carmena, die früher der Kommunistischen Partei angehört hatte und heute parteilos ist, kam mit Unterstützung der neuen Linkspartei Podemos (Wir können) ins Amt.

Auch in Barcelona wurde die Kandidatin eines linken Bündnisses unter Einschluss von Podemos vom Stadtrat zur neuen Bürgermeisterin gewählt. Die 41-jährige Ada Colau, die sich in Spanien als Anführerin einer Protestbewegung gegen Zwangsräumungen von Wohnungen einen Namen gemacht hat, ist die erste Frau an der Spitze der katalanischen Metropole. Knapp drei Wochen nach den Kommunalwahlen bestimmten im ganzen Land mehr als 8100 Gemeindeparlamente ihre Bürgermeister neu. "Spanien hat sich in ein anderes Land verwandelt", konstatierte die Zeitung "El Mundo" gestern und sprach von einer "Revolution in den Rathäusern". Wenige Monate vor der Parlamentswahl im Herbst werden von den fünf größten Städten Spaniens vier von Bürgermeistern aus dem Lager der alternativen Linken regiert. Neben Madrid und Barcelona sind das Valencia und Saragossa. Rajoys PP, die bisher in 37 von 52 Provinzhauptstädten die Bürgermeister gestellt hat, musste in 16 Metropolen die Macht abgeben. Die PSOE regiert in 17 Provinzhauptstädten, acht mehr als bisher. Das verdanken die Sozialisten der Tatsache, dass sie in mehreren Stadträten die Unterstützung von Podemos und anderen Linksparteien erhielten.

Meinung:

Revolutionin den Rathäusern

Von SZ-MitarbeiterRalph Schulze

Die Empörung in Spanien über die alltägliche Korruption sorgt zunehmend für Revolutionsstimmung. Die wachsende Bewegung jener Bürger, die es nicht mehr hinnehmen wollen, dass viele spanische Politiker ganz offenbar in die eigene Tasche wirtschaften, provozierte einen spektakulären Umsturz an den Urnen. In den beiden größten Städten Spaniens hat das Empörten-Bündnis Podemos nun sogar die Macht übernommen. Und muss jetzt beweisen, dass die Bewegung auch bürgernahe sowie reale Politik machen kann. Ganz allgemein ist der Aufstieg der spanischen Protestbewegung ein ermutigendes Signal für die Demokratie. Und ein Lehrbeispiel dafür, dass es keineswegs sinnlos ist, sich in Bürgerinitiativen zu organisieren und durch Proteste Gehör zu verschaffen.

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