Soldaten flüchten aus der syrischen Armee

Istanbul. Immer mehr Soldaten der syrischen Armee setzen sich wegen des Gewalteinsatzes gegen die Protestbewegung ab und fliehen in die Türkei. Die Fluchtbewegung wird der türkischen Regierung zufolge nicht nur größer, sondern ist auch immer besser organisiert

Istanbul. Immer mehr Soldaten der syrischen Armee setzen sich wegen des Gewalteinsatzes gegen die Protestbewegung ab und fliehen in die Türkei. Die Fluchtbewegung wird der türkischen Regierung zufolge nicht nur größer, sondern ist auch immer besser organisiert. Wie ein türkischer Regierungsvertreter gestern unserer Zeitung bestätigte, überquerte zu Wochenbeginn die bisher größte Einzelgruppe von Militärangehörigen gemeinsam mit ihren Familien die Grenze. Es handelte sich um 85 Soldaten, darunter ein General, und 208 Familienangehörige. Die gut vorbereiteten Desertationen deuten auf Risse im syrischen Sicherheitsapparat hin, stellen aus Sicht von Experten derzeit aber noch keine Bedrohung für Präsident Baschar al-Assad dar. Die Flucht der 85 Deserteure und ihrer Familien sei offenbar von langer Hand vorbereitet worden, sagte ein türkischer Regieurngsvertreter unserer Zeitung. "Sie kamen in einer Gruppe an", sagte er. Vergangene Woche waren acht Soldaten mit rund 20 Familienmitgliedern in die Türkei gekommen. Insgesamt sind nach türkischen Schätzung inzwischen rund 60 000 Soldaten in Syrien desertiert, einige tausend sind in die Türkei geflohen, darunter mehr als ein Dutzend syrische Generäle.Etliche Deserteure haben sich der in der Türkei gegründeten "Freien Syrischen Armee" angeschlossen und kämpfen gegen Assad. Die Regimegegner werden der Opposition zufolge immer stärker. "Jeden Tag kommen Soldaten aus Syrien", sagt Fevzi Zakiroglu, Pressesprecher des Oppositions-Dachverbandes SNC in der Türkei. Auch hohe Regierungsbeamte setzen sich seiner Aussage zufolge von Assad ab: Erst am Montag habe ein altgedientes syrisches Regierungsmitglied die Opposition um Hilfe bei der Flucht gebeten.

Doch auch wenn die Opposition gerne von einem Aderlass des syrischen Regimes spricht: Bisher hat die Zahl der Desertionen keine kritische Schwelle überschritten. Die syrische Armee ist etwa 500 000 Mann stark, wobei die Führungsebene aus Mitgliedern der alawitischen Minderheit des Assad-Clans besteht. Besonders wichtige Truppenteile, wie die Republikanische Garde und die berüchtigte Vierte Panzerdivision, stehen treu zum Regime. Garde und Vierte Division werden von Assads Bruder Maher befehligt.

Assad selbst bemühte sich um eine Entspannung der Beziehungen zur Türkei und deutete eine Entschuldigung für den Abschuss des türkischen Militärjets an. Die Maschine sei einer Route gefolgt, die sonst von israelischen Kampfjets benutzt werde, sagte Assad der türkischen Oppositionszeitung "Cumhuriyet". Die Türkei zeigte sich davon unbeeindruckt: Zum zweiten Mal ließ sie Kampfjets aufsteigen, weil sich syrische Hubschrauber der Grenze näherten.

Hintergrund

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft Syrien vor, in möglicherweise tausenden von Gefängnissen Regimegegner zu foltern. Zu den Foltermethoden gehörten das Ausreißen von Fingernägeln, das Aufhängen an der Decke über mehrere Stunden sowie das Übergießen von Gefangenen mit Batteriesäure oder heißem Wasser, listete HRW gestern in einem Bericht auf. dpa

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