„Sie haben keine Vision für Griechenland“

Elisa, 53, braun gebrannt, blondes Haar, kriecht auf Händen und Füßen, bis sie sich im Kleiderschrank in ihrem Schlafzimmer hinter ein paar Pullovern eine Tüte greift. Zwischen Strümpfen, Slips und Büstenhaltern steckt ein Umschlag.

Heile Welt? Nicht ganz: Familie Liounis aus einem gehobenen Athener Vorort musste ihr Konto schröpfen – heute ist es fast leer. Foto: Batzoglou

Foto: Batzoglou

Er ist voller Euro-Scheine. "Ich habe in der Wohnung drei Verstecke. Hier, im Bad und im Kinderschlafzimmer", sagt sie. Es sind 67 000 Euro. "Ich habe mein Konto leergeräumt."

Ob schleichender Bank-Run, hartnäckige Gerüchte über baldige Kapitalkontrollen oder ein drohender Grexit, Athens Ausstieg aus der Eurozone : Elisa ist in Griechenland kein Einzelfall. Im Gegenteil. Die Griechen heben ihr letztes Geld von ihren Konten bei den hierzulande darbenden Geschäftsbanken ab und bunkern es zuhause. Um mehr als 30 Milliarden Euro schmolzen die heimischen Spareinlagen seit vergangenem Herbst. In diesen Tagen sollen es ähnliche Beträge sein. Die krisengeschüttelten Griechen schweben zwischen Hoffen und Bangen. Die zähen Verhandlungen zwischen der seit Januar amtierenden Athener Regierung unter dem linken Premier Alexis Tsipras und ihren öffentlichen Gläubigern - EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds - ziehen sich seit Monaten hin. Immer noch ist nicht klar, wie es mit dem EU-Sorgenland weitergehen soll.

Nun soll es ein eilends eingerichteter EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone am heutigen Montag richten. Das Ziel: den akut drohenden Staatsbankrott Griechenlands buchstäblich in letzter Minute vermeiden. Immer deutlicher wird: Das Hickhack in der unsäglichen Causa Hellas spaltet das Elf-Millionen-Einwohner-Land. Am Mittwoch demonstrierten Tausende vor dem Athener Parlament für die Regierung Tsipras. Ihr Motto: "Alexis, knick nicht ein! Lass keine Fortsetzung des rigiden Austeritätskurses in Athen zu!" Manche fordern die Drachme zurück. Ganz anders sehen dies tausende Hellenen 24 Stunden später - an gleicher Stelle. Sie schwenken EU-Flaggen und halten Schilder mit der Aufschrift in die Höhe: "Wir sind die schweigende Mehrheit. Wir wollen Europa und den Euro."

Für Familie Liounis wäre ein Comeback der Drachme jedenfalls das kleinere Übel. Die Liounis sind das, was man wohl eine typisch griechische Familie nennen darf. Panagiotis Liounis, 55, Ehefrau Evangelia, Rufname: Efi, 57, und Tochter Marianna, 20, leben in einer schmucken Wohnung im gutbürgerlichen Athener Vorort Halandri. 120 Quadratmeter Wohnfläche, Ölgemälde an der Wand und eine fantastische Aussicht vom großen Balkon.

Doch der Schein trügt. Auch Familie Liounis hat die schlimme Hellas-Krise erfasst. Familienvater Panagiotis, einst gefragter Drucker, habe 2011 von seinem privaten Arbeitgeber den blauen Brief erhalten. Die Druckerei druckte eine Fitnesszeitschrift für die moderne Frau, Hochglanzmagazine, Prospekte. Dann kam die Krise. Gut 2500 Euro pro Monat brachte er bis dahin nach Hause. Nun schlägt er sich als Hausverwalter für ein paar Hundert Euro durch, Putzen inklusive. Tochter Marianna lernt Krankenpflegerin. Und seine Frau Efi, die mit 19 als Buchhalterin begann zu arbeiten, ist, seit sie 50 ist, in Rente. Sie kriegt 810 Euro. In Hellas ist das heute genau der Durchschnitt. Die Grundrente beträgt im Schnitt 664,69 Euro, die Zulagen 168,40 Euro.

Auch Panagiotis steht kurz vor der Rente. Spätestens mit 59 ginge das. Noch. "Falls sich Griechenlands Gläubiger mit ihrer Forderung durchsetzen, dass hier der harte Sparkurs fortgesetzt werden soll, dann gehen hier bald die Lichter aus", seufzt er. Und die Alternative? Der 55-Jährige mit fester Stimme: "Der Bruch. Zuerst wird es uns zwar schlechter gehen, danach aber geht es wieder aufwärts. Griechenland hat doch alles! Tolle Agrarprodukte, das Meer, die Sonne. Wir können nach Russland, China und Indien exportieren. Das schaffen wir!" Efi sorgt sich mit Blick auf die Zukunft um ihre Rente, dass sie weiter gekürzt werde. "Das wäre so ungerecht! Dieses Geld habe ich doch bezahlt!" Die Ersparnisse der Liounis aus Vor-Krisen-Zeiten seien fast aufgezehrt. Ihr Sparguthaben heute: nur 2000 Euro. Ob Essen, Kleidung oder Urlaub: Die Familie spare heute "an allen Ecken und Enden". Immerhin sei die Wohnung bezahlt.

60 Kilometer nördlich von Athen läuft die Produktionsstätte für Metallregale auf Hochtouren. Hier schlägt das Herz des Familienunternehmens Dimitroulakos. Ein Vorzeigeunternehmen in Griechenland - trotz der desaströsen Krise. Hier arbeiten Firmengründer Theodoros, 60, Präsident und Geschäftsführer, Ehefrau Theodora, 54, Vizepräsidentin, und ihre beiden Söhne Sotiris, 35, und Stefanos, 30, mit ihren 40 Mitarbeitern. Theodoros schufte seit seinem zwölften Lebensjahr in dieser Branche, erzählt er. Als Hilfsarbeiter habe er begonnen, noch in jungen Jahren habe er seine eigene Firma gegründet. Neun Millionen Euro habe er bisher investiert. Ob die Supermarkt-Kette oder der kleine Privatkunde: Bisher 150 000 Kunden zähle das Familienunternehmen.

Noch nie sei seine Firma in die Verlustzone gerutscht - auch in der Krise nicht, sagt der Firmen-Chef stolz. "Wir haben die Krise früh kommen sehen. Gut vier Fünftel unseres Absatzes betrifft unseren Heimatmarkt Griechenland, nur knapp ein Fünftel geht ins Ausland. So haben wir den Entschluss gefasst, uns vorsorglich von 60 Prozent der Kunden zu trennen, um so nicht Gefahr zu laufen, auf ungedeckten Schecks sitzen zu bleiben."

Griechenlands Zukunft sieht Theodoros indes nicht rosig. "Das Schlimmste sind die Regierenden. Dabei spielt es keine Rolle, wer gerade regiert." Die Politiker, sie hätten "einfach keine Ahnung", wie eine Wirtschaft funktioniere. Schlimmer noch: "Sie haben keine Vision für Griechenland." Genau wie seine Landsleute: Jeder wolle Beamter werden. Früher sei das noch anders gewesen. "Da wollte einer Klempner werden, der andere Elektriker, der andere Maurer. So haben wir Griechenland stark gemacht." Auch fehle es an Gemeinsinn.

Soll Griechenland den Euro behalten oder nicht? Theodoros Dimitroulakos grübelt. "Ich war immer für den Euro, auch jetzt noch. Aber ich sage auch: Dieser Schwebezustand ist das Schlimmste. Das muss ein Ende haben. So oder so. Kommt die Drachme wieder, dann wird sie eben kommen. Das Wichtigste ist: Wir müssen endlich wissen, wie es weitergeht."