Sie essen Hunde, Katzen und Gras

Damaskus · Seit rund sechs Monaten belagern syrische Truppen und ihre Verbündeten die Stadt Madaja. Wochenlang haben den Ort keine Hilfsgüter mehr erreicht. Den verzweifelten Menschen gehen die allerletzten Vorräte aus.

Das ganze Ausmaß der Hungerkatastrophe lässt sich nur erahnen. Bilder von Aktivsten aus der seit Monaten belagerten syrischen Stadt Madaja zeigen Tote mit Körpern, die bis auf die Knochen ausgemergelt sind. Die lokale Gesundheitsbehörde hat ein Video verbreitet, in dem ein Mädchen strampelt, bis auf die Haut abgemagert. Sieben Monate alt sei das Kind mit dem Namen Amal, erzählt eine Frauenstimme. Und habe seit Tagen nichts zu essen bekommen. Die Kleine schreit mit krächzender Stimme.

Überprüfen lassen sich die schrecklichen Bilder nicht. Aber alles spricht dafür, dass sie echt sind und von einer der schlimmsten Hungersnöte im fast fünfjährigen Bürgerkrieg zeugen. Seit sechs Monaten haben Regierungskräfte und die mit ihnen verbündete Schiitenmiliz Hisbollah die von Rebellen kontrollierte Enklave nordwestlich von Damaskus von der Außenwelt abgeriegelt. 40 000 Menschen sollen dort eingeschlossen sein, mindestens die Hälfte davon Zivilisten.

Es gebe so viele Kontrollpunkte, dass es fast unmöglich sei, Essen und Medizin in die Stadt zu bringen, berichten Aktivisten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und der Syrische Rote Halbmond hätten zuletzt im Oktober in der Stadt Hilfe leisten können, sagt eine IKRK-Sprecherin. Das Winterwetter verschlimmert die ohnehin katastrophale Lage weiter. Aktivisten und Oppositionsmedien melden, dass mittlerweile mehr als 30 Menschen an Hunger und Kälte gestorben seien. Dutzende hätten Ohnmachts- und Schwächeanfälle erlitten. 25 000 Menschen seien vom Hungertod bedroht, erzählt der Aktivist Masen Burhan vom humanitären Komitee Madajas über Skype. Ein halbes Kilo Reis oder Weizen könne 200 Dollar kosten. Das Komitee versuche, die wenigen Lebensmittel, die es erhalte, gerecht zu verteilen.

Wie andere Aktivisten berichtet auch Burhan, dass Einwohner nun Hunde und Katzen schlachteten, um das Fleisch zu essen. Um ihren Hunger irgendwie zu stillen, sollen sie Gras gegessen haben. "Den Geschmack von Brot haben die Menschen vergessen", sagt Masen Burhan. Auch Milch für Kinder fehle, heißt es.

Madaja wird zum Verhängnis, dass die Stadt an einem strategisch wichtigen Ort liegt. Das Regime und die Hisbollah beherrschen den Großteil des Gebiets an der Grenze zum Libanon. Die vom Iran unterstützte Miliz will die gesamte Region unter Kontrolle bringen, um eine Pufferzone gegen die Rebellen zu haben. Schon im vergangenen Jahr bombardierten Armee und Verbündete die nahe gelegene Stadt Sabadani über Wochen ohne jede Rücksicht auf Zivilisten. Seit langem sind in dem Bürgerkrieg alle Hemmschwellen gefallen.

Es ist in dem Konflikt nicht die erste humanitäre Katastrophe infolge einer Blockade. Im Juni beklagten die UN, mittlerweile setzten alle Kriegsparteien das Aushungern als Kampfmittel ein. Eines der bislang schlimmsten Beispiele war das palästinensische Flüchtlingslager Jarmuk im Süden von Damaskus , das von der Armee belagert wurde. Abgeschnitten von der Außenwelt starben dort Dutzende.

Zumindest zeichnet sich Hilfe für die Menschen in Madaja ab: Syriens Regime stimmte den UN zufolge jetzt Lieferungen für die Stadt zu. Bislang aber hat kein Hilfstransport den Ort erreicht.

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