Schwarzer Freitag für die Autobranche

Umweltschützer sagen es schon lange. Doch jetzt ist es auch amtlich: Viele in Deutschland fahrende Autos stoßen im Verkehr sehr viel mehr Stickoxide aus als bei Abgastests. Das hat Konsequenzen – nicht nur für den taumelnden Autobauer VW in Wolfsburg.

 SymbolfotoLocation:Frankfurt (Oder)

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Foto: Patrick Pleul (dpa-Zentralbild)

Bislang waren sich die deutschen Hersteller einig. VW sei ein Einzelfall, die Branche dürfe nicht unter Generalverdacht geraten - das hat die Autoindustrie seit Beginn der Abgas-Affäre nimmermüde wiederholt. Doch nun wird klar: Probleme mit Abgassystemen gehen weit über Volkswagen hinaus. Zumindest gibt es eine große Grauzone, in der sich deutlich mehr Hersteller getummelt haben, als bekannt war.

Von einem "freiwilligen Rückruf" von rund 630 000 Autos ist jetzt die Rede. Aber ganz so freiwillig sind die versprochenen Maßnahmen zur "Optimierung" der Diesel-Fahrzeuge, die Audi , Mercedes, Opel , Porsche und VW jetzt mit dem Bundesverkehrsministerium vereinbart haben, wohl doch nicht. Denn ohne den VW-Skandal, der in den USA seinen Anfang genommen hatte, hätte es die Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wahrscheinlich nie gegeben. Hinzu kamen der Druck der Öffentlichkeit und Begehrlichkeiten beim Umweltbundesamt , seine eigenen Zuständigkeiten in Sachen Abgase zu erweitern.

Nachdem Volkswagen zugegeben hatte, Emissionswerte mit einem Abschaltmechanismus ("defeat device") manipuliert zu haben, betonten die übrigen Autohersteller unisono, sie hätten nicht geschummelt. Die Abgasreinigung werde zwar in bestimmten Fällen - vor allem bei niedrigen Temperaturen - heruntergeregelt, räumten Konzerne wie BMW und Daimler ein. Das bewege sich allerdings alles im Rahmen des Legalen und diene nur dem Schutz von Bauteilen im Motor, die sich sonst mit unverbrannten Rückständen zusetzen.

Das sehen die Behörden nun etwas anders. Zwar betont auch das Verkehrsministerium, die sogenannten Thermofenster seien nicht illegal. Allerdings gibt es inzwischen auch beim KBA Zweifel, ob dieser "Bauteilschutz" nicht in einigen Fällen nur eine Ausrede ist, um die Überschreitung der Grenzwerte zu rechtfertigen. Und auch das US-Justizministerium hat Nachforschungen zu überhöhten Emissionen gefordert.

Mit dem Rückruf in Deutschland ist das Haus von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU ) jetzt die erste europäische Behörde, die nach den Nachmessungen von Dieselfahrzeugen ernsthafte Konsequenzen auch für andere Autohersteller als Volkswagen zieht. Das britische Verkehrsministerium hat zwar auch schon mitgeteilt, seine Nachmessungen hätten bei Straßentests Werte von Stickoxiden (NOx) ergeben, die um ein Vielfaches über denjenigen auf dem Prüfstand liegen. Von Rückrufen ist in Großbritannien aber bisher keine Rede.

"Deutschland braucht nicht nur legale Autos, sondern saubere Autos", sagte Greenpeace-Experte Tobias Austrup. Ein simples Software-Update aber mache die Luft in den Städten nicht besser. "Solange Minister Dobrindt den Autokonzernen offiziell erlaubt, dass Dieselwagen die geltenden Grenzwerte auf der Straße weiterhin um ein Vielfaches überschreiten, wird der Diesel-Skandal nicht enden."

Dass die Abgaswerte, die auf dem Prüfstand gemessen werden, wenig mit den tatsächlichen Werten auf der Straße zu tun haben, galt schon länger als offenes Geheimnis. Genauso ist bekannt, dass auf den Prüfständen erlaubterweise getrickst wird. So dürfen zum Beispiel die Reifen aufgepumpt werden, um den Rollwiderstand zu senken. Das führt zu Abweichungen zwischen Test und Realität. Die Politik müsse auf jeden Fall dazu beitragen, die Verwirrung der Verbraucher zu beseitigen, hieß es beim ADAC .

Dobrindt plant nun "Doping-Tests" für Autos. Realistische Ergebnisse bringen sollen außerdem die "Real Driving Emissions" (RDE), die in der EU von 2017 an schrittweise eingeführt werden und Labortests ergänzen. Allerdings gibt es auch hier schon Hintertürchen: So sind bis 2020 Übergangszeiten vorgesehen, in denen Dieselautos noch mehr als doppelt so viel Abgase ausstoßen dürfen wie im Labor.

Umwelt- und Verbraucherschützern geht das aber nicht weit genug. "Es braucht Lösungen für Autos, die heute in Städten wie Stuttgart die Luft verpesten", sagt Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe. Autos, die im normalen Fahrbetrieb die Grenzwerte weit überschreiten, müssen seiner Meinung nach stillgelegt oder nachgerüstet werden.

Meinung:

Keiner stinkt allein

Von SZ-Korrespondent Werner Kolhoff

Auf der VW-Fan-Tribüne kann man schon mal das Singen anfangen: "You'll never stink alone". Auch andere deutsche Diesel-Hersteller haben bei der Abgasmessung getrickst, wenn auch nicht ganz so dreist wie die Wolfsburger. Eigentlich war das zu erwarten, denn irgendeinen Grund muss es ja haben, dass zwar die Autos in der Werbung immer besser werden, die Luft an den Messstellen aber nicht. Geschädigt sind nicht nur die Autokunden, sondern auch Nicht-Autofahrer. Die ganze Branche braucht jetzt einen Neuanfang der Ehrlichkeit. Dazu gehören Tests von Abgaswerten und Verbrauch unter Realbedingungen, schon bei der Zulassung, aber auch im Alltag. Und zwar von neutralen Institutionen. Dazu gehören bessere Rechte der Autokunden. Da die Hersteller einen solchen Neuanfang kaum von selbst finden können, muss ihnen wohl die Politik auf die Sprünge helfen. Auch mit Zwang. Denn die Automobilindustrie ist für Deutschland zu wichtig, um sie Tricksern zu überlassen.

Zum Thema:

Hintergrund Volkswagen muss angesichts der immensen Rückstellungskosten (16,4 Milliarden Euro ) für den Abgas-Skandal den größten Verlust seiner Konzerngeschichte verkraften. 2015 lag das Ergebnis mit minus 1,6 Milliarden Euro massiv in den roten Zahlen, meldete Europas größter Autobauer. 2014 stand noch ein Gewinn von elf Milliarden Euro in den Büchern. Der VW-Konzernvorstand legt seinen Anspruch auf Bonuszahlungen nur in Teilen auf Eis. Der Konzern behalte demnach 30 Prozent der variablen Vergütung der Vorstände ein. Das Geld werde aber in Aktien umgewandelt und geparkt, erklärte der Aufsichtsrat. Nach drei Jahren werde geprüft, wie sich der Aktienkurs entwickelt hat. Liege der um ein Viertel über dem jüngsten Niveau, werde das Geld ausbezahlt, liege er darüber, gebe es sogar mehr Geld zurück. Nur wenn der Kurs darunter liege, bekämen die Vorstände nichts. Daimler bekommt es nun auch mit den US-Behörden zu tun. Das Justizministerium in Washington habe die Schwaben aufgefordert, das Zustandekommen der offiziellen Abgas-Werte in den USA intern und unter Einbeziehung der US-Aufseher unter die Lupe zu nehmen, sagte die Daimler AG . Die Anordnung folgt auf Sammelklagen von US-Autobesitzern aus 13 Bundesstaaten, die dem Hersteller illegal überhöhte Emissionswerte vorwerfen. Hunderttausende Deutsche sind nach den massiven Rückrufen der Autobauer verunsichert. Unter www.saarbruecker-zeitung.de/rueckruf lesen Sie, wie sich Betroffene verhalten sollten. dpa

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