Schutz vor Diskriminierung?

Frankfurt/Main · Der Pressekodex soll verhindern, dass Minderheiten in Medienberichten abgestempelt werden. Die Silvesternacht in Köln hat die Debatte entfacht: Dürfen Journalisten einen Teil der Wahrheit verschweigen?

Zuerst sprachen in Köln Polizei und Medien von "weitgehend friedlichen Feiern". Später war die Rede von Straftätern, die "dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum" stammten, schließlich von vielen Algeriern, Marokkanern, Iranern und Syrern. Die Defizite in der Berichterstattung nach der Silvesternacht haben eine ethische Diskussion ausgelöst, wann Medien die Nationalität mutmaßlicher Täter nennen sollen und wann nicht. Viele Journalisten sind verunsichert.

Der Deutsche Presserat berät heute darüber, ob er seine Richtlinie gegen Diskriminierung überarbeiten muss. Ziffer 12.1 war in den Pressekodex aufgenommen worden, um Minderheiten zu schützen: "In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht", heißt es. Besonders sei zu beachten, dass Vorurteile gegenüber Minderheiten geschürt werden könnten. Nach Köln wurde der Vorwurf laut, dieser Leitsatz sei ein Maulkorb und halte Medien davon ab, über Kriminalität von Ausländern wahrheitsgetreu zu berichten. Fremdenfeindliche Gruppen wie "Pegida" sahen sich in ihrem Vorwurf der "Lügenpresse" bestätigt. Auch andere Leser beklagten sich: Journalisten hätten Nationalitäten von Verdächtigen verschwiegen, als diese über die sozialen Netzwerke längst bekannt gewesen seien. Mehr als 20 Beschwerden gingen beim Presserat ein. Geschäftsführer Lutz Tillmanns weist den Vorwurf zurück, das Selbstkontrollgremium von Journalisten und Verlegern unterdrücke die Wahrheit.

"Die Diskriminierungsrichtlinie enthält keine Sprachverbote", betont Tillmanns. Vielmehr gehe es um eine berufsethische Verpflichtung, vor der Berichterstattung in jedem Einzelfall sorgfältig abzuwägen: Ist es für das Verständnis relevant, die Zugehörigkeit zu einer Minderheit zu nennen? Bei Verkehrsunfällen etwa sei dies in aller Regel verzichtbar. Anders sehe es aus, wenn ein Ereignis eine politische Dimension gewinne. So hätten die Kölner Vorfälle eine gesellschaftliche Debatte über Integration angestoßen. "Das Thema Flüchtlinge ist einfach da, und natürlich gibt es auch Kriminalität", sagt Tillmanns. "Es ist ein Bedürfnis der Gesellschaft zu erfahren, was hier abgeht, um welche Problemlagen es sich handelt und ob es vielleicht Auffälligkeiten bei einzelnen Tätergruppen gibt."

Kritiker wie Rolf Seelheim, der Chefredakteur der "Nordwest-Zeitung" aus Oldenburg, fordern, Ziffer 12.1 zu überarbeiten: "Der Text ist so unscharf formuliert, dass er eher zu Missverständnissen führt, als dass er den Redaktionen bei der Entscheidung hilft." Keiner könne sagen, was ein "begründbarer Sachbezug" sei. Die "Schere im Kopf" führe dazu, dass womöglich genau das Gegenteil erreicht werde, "nämlich Spekulationen Vorschub zu leisten und vielleicht sogar zur Diskriminierung der falschen Gruppen beizutragen."

Auch dem Publikum sei das nicht mehr zu vermitteln, erklärt Seelheim. "Das Schlimmste ist doch, wenn Leser, die für ihre Zeitungen und Illustrierten Geld bezahlen, sich im kostenlosen Internet besser informiert fühlen, weil die Presse Ross und Reiter nicht nennt." Journalisten sollten den Lesern mehr Mündigkeit zutrauen: "Man sollte sie nicht für so dumm halten, dass sie von der Herkunft einzelner Täter auf die Gesinnung einer ganzen Nation schließen." Hilfreich wäre etwa ein Hinweis des Presserats, dass auch die Nicht-Erwähnung von Nationalitäten Vorurteile schüren könne.

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Am RandeDie Kölner Polizei rechnete offenbar schon zwei Tage vor dem Jahreswechsel mit möglichen Problemen in der Silvesternacht. Der Kölner "Express" berichtete von einem auf den 29. Dezember datierten Schreiben an die Einsatzkräfte, in dem eine "deutlich sichtbare polizeiliche Präsenz im gesamten Einsatzraum" als erforderlich angesehen wurde. Die Polizei erwähnte nach Recherchen der Zeitung auch schon potenzielle Täter aus Nordafrika. Wegen der vielen Menschen und des Alkohols sei mit vielen Körperverletzungsdelikten zu rechnen. dpa

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