Schulterschluss trotz Verstimmung Erler: "Politik droht in Rituale zu verfallen"

Herr Erler, ursprünglich war der Petersburger Dialog als zivilgesellschaftliches Forum gedacht. Aber unbequeme Geister sucht man dort vergebens.Erler: Ich räume ein, es gibt ein ständiges Ringen über die Liste der Einzuladenden, wobei wir natürlich ein Interesse daran haben, dass auf beiden Seiten auch kritische Vertreter mit dabei sind

Herr Erler, ursprünglich war der Petersburger Dialog als zivilgesellschaftliches Forum gedacht. Aber unbequeme Geister sucht man dort vergebens.

Erler: Ich räume ein, es gibt ein ständiges Ringen über die Liste der Einzuladenden, wobei wir natürlich ein Interesse daran haben, dass auf beiden Seiten auch kritische Vertreter mit dabei sind. Wir hatten auch schon kontroverse Diskussionen zum Beispiel mit Vertretern der Menschenrechtsorganisation Memorial in Anwesenheit des damaligen russischen Präsidenten Putin. Dieser offene Dialog muss erhalten bleiben.

Aber ist der nicht schon verloren gegangen?

Erler: Die Gefahr besteht, dass sich offizielle Politik selbst genügt und in bloße Rituale verfällt.

Man hat den Eindruck, dass in den Beziehungen nur noch wirtschaftliche Interessen dominieren. Kommen die Menschenrechte zu kurz?

Erler: Das ist in der Tat der Fall. Die Menschenrechte, die gesellschaftliche Entwicklung in Russland, und was Deutschland dazu beitragen kann, sind in den letzten Jahren in den Hintergrund gerückt.

Brauchen wir eine Neuausrichtung der deutsch-russischen Beziehungen?

Erler: Ja, wir brauchen eine Neuausrichtung, ohne jedoch die Menschenrechte gegen eine für beide Seiten vorteilhafte wirtschaftliche Kooperation auszuspielen. Im Jahr 2008 hatte der damalige Außenminister Steinmeier eine Modernisierungspartnerschaft angeregt, die auch gesellschaftliche Modernisierung, also Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Justiz, einschließt. Dieser Ansatz ist von der schwarz-gelben Bundesregierung leider nicht weiter verfolgt worden. Und das, obwohl führende Politiker in Moskau den Wert einer solchen Modernisierung erkannt haben.

Hat das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau durch die Absage der Quadriga-Verleihung an Ministerpräsident Putin Schaden genommen?

Erler: Zweifellos hat das Verhältnis dadurch Schaden genommen. Aber beide Seiten sind ganz offensichtlich bemüht, diesen Schaden zu begrenzen.Hannover. Trotz des Debakels um den zurückgezogenen Quadriga-Preis für Wladimir Putin bauen Deutschland und Russland ihre Zusammenarbeit auf breiter Front aus. Nach ihrem Treffen werteten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Staatspräsident Dmitri Medwedew die vielen unterzeichneten Abkommen als einen Beleg für die dichten Kontakte. "Es ist die gesamte Breite vertreten", sagte Merkel gestern in Hannover nach den 13. deutsch-russischen Regierungskonsultationen. Dazu zählten Wirtschaftsverträge, die kulturelle Zusammenarbeit, die Partnerschaft für die russische Modernisierung sowie Umweltverträge etwa zum Schutz der russischen Torfmoore.

Merkel sprach sich für einen Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO aus. Sie unterstütze die entsprechende Position der deutschen Wirtschaft. Deutsche Firmen seien sehr interessiert am Aufbau eines modernen Industriesektors in Russland. Medwedew unterstrich, der Handelsumsatz erreiche in diesem Jahr höchstwahrscheinlich das Vorkrisenniveau.

Medwedews Kandidatur offen

Medwedew verurteilte die Absage des Quadriga-Preises an den russischen Ministerpräsidenten Putin überraschend scharf. Die Entscheidung des Kuratoriums des Vereins Werkstatt Deutschland sei "feige und inkonsequent". Wer einen solchen Entschluss fasse, müsse diesen auch durchziehen. "Ich glaube, dass der Preis am Ende ist - zumindest für die internationale Gemeinschaft."

Merkel betonte: "Wir werden natürlich auch immer wieder schauen: Wie entwickelt sich die Lage der Menschenrechte in Russland?" Gerade mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Russland sei eine "faire Situation" für die Presse wichtig. Medwedew kündigte für sein Land offene und freie Wahlen an. Russland wählt im Dezember ein neues Parlament und im März 2012 einen neuen Präsidenten in Direktwahl. Medwedew ließ weiter offen, ob er 2012 erneut als Präsident kandidiert. "Es gilt, noch ein bisschen zu warten."

Merkel stellte in Aussicht, dass deutsche Versorger im Zuge des Atomausstiegs und der Energiewende verstärkt auf russisches Gas zurückgreifen könnten. Auch aus Norwegen und Großbritannien beziehe Deutschland Gas. Doch die Bundeskanzlerin betonte: "Je günstiger das russische Gas angeboten werden kann, desto wahrscheinlicher ist es, dass es auch gekauft wird."

In der Eurokrise warnte Merkel vor der Hoffnung, das Euro-Stabilitätsproblem mit "einem spektakulären Schritt" lösen zu können. Es bedürfe eines "kontrollierten und beherrschbaren Prozesses". Auch vom Euro-Gipfel der Staats- und Regierungschefs morgen in Brüssel sei kein solcher "abschließender großer Schritt" zu erwarten. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort