„Schreddern ist absolut unverantwortlich“

In der Hühnerzucht wird viel zu hart selektriert, warnt Dr. Anita Idel. Mit der hessichen Tiermedizinerin, die deutschlandweit Experten-Runden zu artgemäßer Hühnerzucht organisiert, sprach SZ-Redakteur Pascal Becher.

Frau Idel, die Richter in NRW haben das Töten männlicher Küken als rechtens bestätigt. Ein nachvollziehbares Urteil für Sie?

Idel: Ich hatte bis zuletzt gehofft. Kükenschreddern ist absolut unverantwortlich, und der Richterspruch das völlig falsche Signal. Wir benötigen ein Umdenken in der Agrarpolitik und speziell in der Tierzucht.

Was bedeutet das für die Hühnerzucht?

Idel: In der industriellen Hühnerzucht wird seit Jahrzehnten extrem selektiert - auf Lege- oder auf Mastleistung. Hennen der Legelinien legen über 300 Eier pro Jahr. Aber Hennen zu züchten, die immer mehr Eier legen, führt zwangsläufig dazu, dass deren Brüder wirtschaftlich unattraktiv werden.

Erklären Sie das bitte näher?

Idel: Die extrem hohe Legeleistung wird dadurch möglich, dass der Stoffwechsel die Nahrungsenergie gezielt der Eibildung zuführt. Die Brüder scheiden einen Grossteil des Futters ungenutzt aus, wachsen also nur sehr langsam. Das ist somit kein Zufall, sondern zwangsläufige Folge der intensiven Zucht auf Eierhöchstleistung.

Wäre die technische Geschlechtsbestimmung im Ei eine Lösung?

Idel: Ein klares Nein! Denn Opfer dieser unverantwortbaren Zucht sind auch die Hennen. Gesundheitliche Probleme folgen zwangsläufig - insbesondere Eileiterentzündungen. Die gelten dann als "Berufskrankheit".

Wer trägt Schuld daran?

Idel: Agrarwissenschaftler und Tierärzte sind mitverantwortlich für die politischen Rahmenbedingungen. Das nutzen die Zuchtkonzerne aus. Verbraucher wissen zu wenig darüber.

Was müsste sich ändern?

Idel: Ein nachhaltiges Agrarsystem erfordert das Zuchtziel Tiergesundheit. Stichwort: Zweinutzungshühner. Die Politik muss die züchterische Entwicklung der Hühnerrassen in bäuerlicher Hand fördern - gesunde Hühner in Freilandhaltung, die Eier legen und Fleisch ansetzen.

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