Schneller Atomausstieg birgt erhebliche Risiken

Berlin. Die Kronzeugen der Kritik sind unverdächtig. Namhafte Experten wiesen gestern bei einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestages auf Risiken und Nebenwirkungen des Atomausstiegs hin. Die Gefahren lauern im rechtlichen und im technischen Bereich. "Wir transportieren Elektronen. Woher die kommen, ist uns egal

Berlin. Die Kronzeugen der Kritik sind unverdächtig. Namhafte Experten wiesen gestern bei einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestages auf Risiken und Nebenwirkungen des Atomausstiegs hin. Die Gefahren lauern im rechtlichen und im technischen Bereich."Wir transportieren Elektronen. Woher die kommen, ist uns egal." Der Geschäftsführer des Stromnetzbetreibers Tennet, Martin Fuchs, wollte mit diesen Worten betonen, dass er kein Interesse an einer bestimmten Art der Energieproduktion hat, sondern nur an einer stabilen Spannung im Netz. Und die sieht er gefährdet. Tennet betreibt das Leitungsnetz in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern. 2003 habe man nur zwei Mal kritische Netzzustände gehabt, berichtete der Manager. 2009 kam das wegen des unstet fließenden Wind- und Solarstroms aber schon 312 Mal vor. Und allein in den 72 Tagen seit der Sofort-Stilllegung von sieben Altmeilern im März waren es schon 898 Fälle. "Das elektrische System wird bereits jetzt dauerhaft im Grenzbereich betrieben", sagte Fuchs. Wartungsarbeiten würden immer wieder verschoben. Die Folge: Außerordentliche Zwischenfälle könnten womöglich nicht mehr aufgefangen werden. An Wintertagen mit windarmer Inversionswetterlage und in heißen trockenen Sommern mit AKW-Abschaltungen in Frankreich könne es in Süddeutschland und Hamburg ein "Risiko für großflächige Versorgungsausfälle" geben.

Willkürliche Restlaufzeiten?

Der schnelle Bau von mindestens 10 000 Megawatt Leistung in Kohle- oder Gaskraftwerken ist zwingend, sagte nicht nur Fuchs, sondern auch die Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, Hildegard Müller. Diese Kraftwerke sind auch tatsächlich bereits in Planung. Bloß, wie Müller auf einer Karte zeigte, fast alle in Norddeutschland und Nordrhein-Westfalen, nicht aber in Bayern und Baden-Württemberg, wo die Kernkraftwerke ersetzt werden müssen. Das macht die kurzfristige Errichtung von mindestens 3500 Kilometern Fernleitungen noch dringender, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur, Stefan Kohler. Sie sollen den Windstrom von Nord- und Ostsee nach Süden transportieren. Widerstände sind programmiert.

Das zweite Problem ist rechtlicher Natur. Auch hier goss ein unverdächtiger Zeuge bei der Anhörung Wasser in den Wein der Ausstiegs-Euphorie: der langjährige Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im damals rot-grün geführten Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg. Nach dem Ausstiegsplan der Bundesregierung ergeben sich Laufzeiten zwischen 31 und 36 Jahre für die Kraftwerke. Es werde nicht begründet, warum das eine Kraftwerk länger, das andere kürzer laufen dürfe. Das sei willkürlich. Wenn die Betreiber wollten, könnten sie das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht kippen. Und die Betreiber drohen bereits mit Klagen. Eon-Vorstand Ingo Luge griff auch die Sofort-Stilllegung der sieben Altmeiler an. Sicherheitstechnisch unterschieden die sich nicht wesentlich von den anderen, so dass auch diese Entscheidung willkürlich sei.

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