Schicksalswahl wird zur Posse

Peking · Der Streit um die Wahlreform hatte in der Vergangenheit in Hongkong schwere Proteste ausgelöst. Jetzt platzten Pekings Pläne endgültig – weil es bei der Abstimmung über die Wahlreform zu einer organisatorischen Panne kam.

Wenn Politik ein Fußballspiel wäre, dann hätte sich in Hongkong gerade ein Eigentor auf dem Niveau der Champions-League ereignet. Ausgerechnet bei der historischen Abstimmung über ein neues Wahlgesetz haben sich Abgeordnete des Stadtparlaments einen Patzer geleistet, der das Ergebnis völlig verzerrt hat. Die Vertreter Pekings haben einen Wahlgang verpasst, mit dem China seine Interessen in Hongkong durchsetzen wollte. "Ich bin verstört und bedaure diese Entwicklung", sagt die Peking-freundliche Abgeordnete Ip Lau Suk-yee. "Ich wollte eigenhändig für das neue Gesetz stimmen." Dass sie die Abstimmung verpasst habe, mache sie "traurig". Andere Abgeordnete sprechen von einem Debakel, unprofessionellem Verhalten, einem "Fiasko" und einem "Reinfall". Die Posse droht jedoch eine bedrohliche Wendung zu nehmen: Hongkong stellt sich mit diesem Abstimmungsergebnis überraschend klar gegen den Willen der Machthaber in Peking . Und die haben für diesen Fall bereits Rache angedroht. Hongkong definiert sich in erster Linie als Wirtschaftsstandort - und ist so vom Wohlwollen Chinas abhängig.

Die Verantwortung für den Misserfolg hat der Abgeordnete Lam Kin-fung übernommen. Er hatte seine Kollegen aufgefordert, den Parlamentssaal zu verlassen, um die Wahl zu verzögern. Damit wollte er seinem 79-jährigen Mentor die Gelegenheit geben, noch rechtzeitig zu der Abstimmung zurückzukommen. Dieser hatte sich unwohl gefühlt und den Raum verlassen. Die Abstimmung fand dann jedoch einfach ohne die 33 Abgeordneten statt, die bereits hinausgegangen waren. Das Hongkonger Parlament hat 70 Sitze. Wenn die Hälfte der Abgeordneten anwesend ist, gilt es als beschlussfähig.

Statt 41 Abgeordneten stimmten daher nur acht für die Neufassung des Wahlgesetzes der Stadt Hongkong, die Peking vorgeschlagen hatte, 28 waren dagegen. Aus Protest gegen eben dieses Wahlgesetz hatten Hunderttausende von Demonstranten im vergangenen Herbst die Innenstadt wochenlang blockiert. Es sollte eine Form gelenkter Demokratie für die Wahl des Stadtoberhaupts im Jahr 2017 einführen. Die politischen interessierten jungen Leute halten es für inakzeptabel und fordern echte Wahlen mit freier Aufstellung der Kandidaten.

Das Wahlgesetz wäre zwar ohnehin nicht durchgekommen, weil es eine Zweidrittelmehrheit benötigt. Wenn die Abstimmung regulär verlaufen wäre, hätte aber eine Mehrheit für das Vorhaben gestimmt. Für die politische Symbolik ist diese Unterscheidung wichtig. Das pro-demokratische Lager triumphiert: Egal, wie das Ergebnis zustande gekommen sei, es sei objektiv eine Ablehnung des Willens der Machthaber in Peking - mit breiter Mehrheit.

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