Schicksalsstunden für griechische Regierung

Athen · Die Sparauflagen der internationalen Gläubiger stellen das politische System Griechenlands erneut vor eine Zerreißprobe. Notfalls will Ministerpräsident Tsipras mit Hilfe der Opposition weiterregieren.

Griechenland am Scheideweg: Für Verhandlungen mit den Europartnern über ein drittes Hilfspaket sind neue Spar- und Reformgesetze die Bedingung. Eine Parlamentsmehrheit in Athen galt vor der geplanten Abstimmung in der Nacht zu heute als sicher. Ministerpräsident Alexis Tsipras sah sich mit Abweichlern im Regierungslager und einem prominenten Rücktritt konfrontiert. Vor dem Parlament kam es am Abend zu schweren Ausschreitungen, als eine Gruppe Brandbomben warf.

Zwar gab es Widerstände innerhalb der linken und rechten Koalitionsparteien gegen das umstrittene Spar- und Reformpaket. Die Fraktionen der konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Opposition hatten aber ihre Zustimmung angekündigt und die Gemengelage damit etwas entschärft. Bei mehr als 40 Gegenstimmen aus dem Regierungslager wäre die Koalition dennoch akut gefährdet. Das Ergebnis der Abstimmung wurde gegen Mitternacht erwartet. Vize-Finanzministerin Nadja Valavani nahm schon vorher aus Protest ihren Hut: "Alexis, ich kann nicht mehr weitermachen", schrieb sie an Tsipras.

Das vier Milliarden Euro schwere Sparpaket umfasst vor allem höhere Mehrwertsteuern und Zusatzabgaben für Freiberufler sowie Besitzer von Luxusautos, Häusern und Jachten. Ebenfalls enthalten: ein nahezu vollständiger Stopp aller Frühverrentungen. Beobachter rechneten damit, dass Tsipras Regierungsmitglieder entlassen könnte, die gegen das Reformpaket stimmen. Als Kandidat hierfür galt etwa Energieminister Panagiotis Lafazanis vom linken Syriza-Flügel. Bei einer Annahme des Sparpakets will Tsipras vorerst auf Neuwahlen verzichten und notfalls mit einer Minderheitsregierung und Duldung der Opposition weiterregieren, bis ein neues Hilfsprogramm des Euro-Rettungsschirms ESM unter Dach und Fach ist.

Um Athens laufenden Finanzbedarf bis zum Start eines möglichen ESM-Programms zu decken, schlug die EU-Kommission gestern einen Überbrückungskredit von sieben Milliarden Euro vor, der eine Laufzeit von drei Monaten haben und aus einem schon länger bestehenden Rettungstopf aller EU-Staaten (EFSM) kommen soll. Bis Mitte August benötigt Griechenland rund zwölf Milliarden Euro, um laufende Rechnungen zu begleichen und Kredite abzulösen. Schon am Montag sind 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) fällig. Ohne Rückzahlung müsste die EZB ihre Notkredite für Griechenlands Banken einstellen, das labile Finanzsystem des Landes würde wohl endgültig kollabieren.

Meinung:

Tsipras ist am Ende

Von SZ-MitarbeiterFerry Batzoglou

Unabhängig von der Abstimmung im Athener Parlament über das Sparpaket steht fest: Alexis Tsipras , Europas einstiges Schreckgespenst, ist politisch erledigt. Der ursprüngliche Spargegner Tsipras hat nicht nur jegliche demokratische Legitimation verloren. Nach dem überwältigenden "Nein" beim Referendum in Griechenland zu den (zu jenem Zeitpunkt noch milderen) Sparvorschlägen der Gläubiger hat er im Eiltempo einen Salto hin zum "Ja" gemacht - und so auch jegliche gesellschaftliche Legitimation verloren. Ob Apotheker, Krankenhausärzte oder Beamte: Sie gehen nun ausgerechnet gegen den linksradikalen Premier auf die Straße. Tsipras ist am Ende. Neuwahlen, die vierten seit Ausbruch der Krise im Frühjahr 2010, sind unausweichlich.

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