Scharfe Schnitte im menschlichen Erbgut

Eine Revolution kündigt sich an. Bislang galten gezielte Eingriffe ins menschliche Erbgut als extrem schwierig. Das könnte sich gerade ändern. Denn durch eine neue gentechnische Methode mit dem sperrigen Namen CRISPR/Cas9 könnte an die Stelle grobschlächtiger und fehleranfälliger Verfahren eine neue Gen-Chirurgie bei Pflanzen, Tieren und Menschen treten - einfach, billig, effizient. Allerdings lauern auch Gefahren. Deshalb will sich der Deutsche Ethikrat heute mit dem "Zugriff auf das menschliche Erbgut" befassen. Erst 2012 haben die Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier, Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, und die US-Molekularbiologin Jennifer A. Doudna das neue, Nobelpreis-verdächtige Verfahren entdeckt. Abgeschaut haben sie sich die Methode von den zelleigenen Reparaturmechanismen bei Bakterien.

 Bei dem neuartigen Verfahren geht es darum, die DNA von Lebewesen zu zerschneiden und gezielt zu verändern. Der Prozess wird „genome editing“ genannt. Eingesetzt werden kann die Technik zum Beispiel zur Erforschung und zur Therapie von Krankheiten. Foto: fotolia

Bei dem neuartigen Verfahren geht es darum, die DNA von Lebewesen zu zerschneiden und gezielt zu verändern. Der Prozess wird „genome editing“ genannt. Eingesetzt werden kann die Technik zum Beispiel zur Erforschung und zur Therapie von Krankheiten. Foto: fotolia

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Bei CRISPR/Cas9 handelt es sich nach den Worten des Ethikrats-Vorsitzenden Peter Dabrock um eine "Hochpräzisions-Schere". Gene oder kleinste DNA-Bausteine können eingefügt, entfernt, verändert oder ausgeschaltet werden - vergleichbar mit der Computer-Funktion "Suchen und Ersetzen". CRISPR/Cas9 kann bei der Züchtung von Pflanzen und Tieren, aber auch bei menschlichen Genen angewandt werden.

Weltweit arbeiten Forscher derzeit mit Hochdruck daran, mit der neuen Methode Nutzpflanzen robuster oder ertragreicher zu machen. Das Besondere: Anders als bei bisheriger Gentechnik bleibt kein artfremdes Erbgut in den Pflanzen zurück. Die neue Sorte ist von einer natürlichen Züchtung nicht zu unterscheiden. Schon jetzt ist ein heftiger Streit entbrannt, ob solche Pflanzen als "gentechnisch verändert" anzusehen sind. Die Frage ist, ob solche Sorten gekennzeichnet werden müssen und ob sie auch im Ökolandbau einsetzbar sind.

Kampf gegen Krankheiten

Viel brisanter ist die Debatte aber mit Blick auf Veränderungen menschlicher Gene. Bei bisherigen Versuchen, sie zu reparieren, gab es massive Rückschläge. Viele Patienten erkrankten an Krebs. Jetzt träumen die Wissenschaftler von neuen Heilungsmöglichkeiten. Im Labor konnten sie bereits Huntington und Mukoviszidose bekämpfen.

Zunächst aber stellen sich handwerkliche Fragen, wie Dabrock betont. Noch ist unklar, wie häufig bei CRISPR/Cas fehlerhafte Schnitte auftreten und wie weit die Funktion von Gen-Abschnitten richtig verstanden ist. Diskutieren will der Ethikrat auch, dass nicht nur Krankheiten geheilt, sondern auch menschliche Eigenschaften gezielt verbessert werden können - Kritiker befürchten Menschenzüchtung. Am heikelsten sind gentechnische Veränderungen der menschlichen Keimbahn, die bislang in Deutschland verboten sind. Solche Eingriffe seien nicht rückgängig zu machen und prägten alle künftigen Generationen, warnt Dabrock: "Es geht hier um Menschen, an denen experimentiert wird."

Auch die Biologin Doudna ist sich der Brisanz ihrer Entdeckung bewusst. Sie organisierte 2015 einen Ethik-Gipfel in den USA. Ergebnis war eine freiwillige Selbstbeschränkung der Wissenschaft. Grundlagenforschung soll vorangetrieben, die Keimbahn-Therapie - vorerst - geächtet werden. "Wir Wissenschaftler müssen diskutieren, ob wir die Technik benutzen wollen, um die menschliche Keimbahn zu verändern", fordert sie. "Wir wollen garantieren können, dass die Technologie sicher ist." Dass das alles keine Hirngespinste sind, zeigen Berichte aus den vergangenen Monaten: Wissenschaftler in China haben mit der neuen Methode befruchtete menschliche Eizellen gezielt verändert. Nur viermal gelang die gewünschte Manipulation. Im April 2015 veröffentlichten die Forscher ihre Ergebnisse und sorgten für einen Aufschrei.

Auch in Europa gibt es entsprechende Vorhaben: Im Februar erlaubte die britische Behörde HFEA erstmals einer Forschergruppe, gezielt Gene menschlicher Embryonen im Frühstadium zu verändern. Diese dürfen allerdings keiner Frau eingepflanzt werden, sondern müssen nach zwei Wochen zerstört werden.

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