Sachliche Debatte statt Polemik

Berlin · Statt eines Schlagabtauschs gab es gestern bei der Haushaltsdebatte im Bundestag ernste Mienen. Die Flüchtlingsproblematik stand klar im Mittelpunkt. Für die Zuspitzung des Problems machte die Opposition die Bundesregierung mit verantwortlich.

Normalerweise ist die Haushaltsdebatte im Herbst der jährliche große Schlagabtausch - parteipolitisch und polemisch. Die Flüchtlingskrise hat jedoch einen neuen Ernst in den Bundestag ziehen lassen, wie man gestern erleben konnte. Regierung wie Opposition scheint bewusst zu sein, dass sie wohl die größte Herausforderung für Deutschland seit der Wiedervereinigung ist.

"Seit der Nachkriegszeit", meinte Unions-Fraktionschef Volker Kauder sogar. Nicht nur er, fast alle Redner mieden kleinliche Aspekte. Das begann schon mit Gregor Gysi , der als Oppositionsführer den Auftakt machen durfte und die aktuellen Krisen der Welt Revue passieren ließ - von Syrien über Irak bis zur Ukraine. Kriege würden die Flüchtlingsströme auslösen, und Deutschland sei als drittgrößter Waffenlieferant der Welt daran beteiligt. Die Linke habe das immer angeprangert. "Wir hatten Recht."

Gysi stellte sich klar vor die Flüchtlinge und verlangte, dem "rechten Mob" entgegenzutreten. Von der Kanzlerin forderte er, "schärfer und deutlicher" die Auseinandersetzung mit Asylverweigerern in der EU zu suchen, ganz besonders mit Ungarn. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann konzentrierte seine Rede auf das momentane Erscheinungsbild Europas. Er wiederum erwähnte namentlich die Briten und sagte zu deren Angebot, 20 000 Syrer in den nächsten vier Jahren aufzunehmen: "So viele kamen allein am letzten Wochenende in München an." Wenn die EU sich nicht einige, stünden die offenen Grenzen in Frage. Allerdings, räumte Oppermann selbstkritisch ein, habe auch Deutschland "zu lange" ignoriert, dass das bisherige europäische Asylsystem nicht mehr funktioniert habe.

Angela Merkel, um deren Haushalt und Gesamtpolitik es offiziell ging, widmete den Anfang ihrer Rede der aus ihrer Sicht äußerst positiven Lage Deutschlands, gipfelnd in dem Satz, dass man dank einer starken Wirtschaft und solider Finanzen jetzt "voll handlungsfähig" sei und keine neuen Schulden machen müsse. Anschließend sprach sie noch ausführlich über die Verbesserungen bei der Pflege. Die Botschaft: Keine Angst, Bürger, wir haben eure Sorgen über die vielen Flüchtlinge nicht vergessen, wir schaffen das. Offenbar sorgt sich die Kanzlerin, dass die Stimmung umkippen könnte.

Was die Flüchtlinge selbst anging, blieb Merkel aber glasklar. Die Bewältigung der Asylströme sei "eine nationale Aufgabe". Die Aktionen von Ausländerfeinden seien "abstoßend und beschämend". Bund, Länder und Kommunen müssten "jetzt anpacken und dürfen sich nicht gegenseitig Schuld zuschieben". So einfach wollte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt die Regierung aber nicht davon kommen lassen. Göring-Eckardt redete engagiert wie alle vor ihr, aber deutlich zorniger. Merkel habe erst nach den Ereignissen von Heidenau das Thema überhaupt wahrgenommen, kritisierte sie. Und europaweit ergebe der "Faktencheck", dass auch Deutschland das "Sankt-Florians-Prinzip" verfolgt habe, wonach die Flüchtlinge in den Mittelmeer-Anrainer-Staaten aufgefangen werden sollten. "Das war beschämend." Innenminister Thomas de Maizière (CDU ) wiederum habe keinerlei Krisenvorsorge getroffen. Bis heute gebe es nur 500 Entscheider für die Asylanträge, gerade mal so viele wie in Holland. "Das Versagen der Verwaltung, diese Langsamkeit, das hat die Krise verstärkt", rief sie aus.

Es gab bei diesen Worten in den Koalitionsreihen nur betretenes Schweigen und auf der Regierungsbank eisige Gesichter. Nur, dass die Kanzlerin während der Haushaltsdebatte mehrfach zu ihrem Innenminister ging, um etwas sehr ernsthaft mit ihm zu besprechen, fiel dann doch auf.

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