Debatte im EU-Parlament Menschenrechte mal so, mal so

Straßburg/Brüssel · Das EU-Parlament verleiht den Sacharow-Preis in diesem Jahr an einen verschwundenen chinesischen Menschenrechtler, der der Minderheit der Uiguren angehört. Ein mutiger Schritt. Weniger mutig ist die Staatengemeinschaft dagegen beim Vorgehen gegen Malta.

 Das EU-Parlament vergibt den Sacharow-Preis für geistige Freiheit an den chinesischen Aktivisten llham Tohti (siehe Bildschirm). Seine Tochter Jewher, die ihr Gesicht mit dem Monitor verdeckt (Mitte) nimmt den Preis entgegen. David Sassoli (r), Präsident des Europäischen Parlaments, präsentiert vor den Kameras die Urkunde.

Das EU-Parlament vergibt den Sacharow-Preis für geistige Freiheit an den chinesischen Aktivisten llham Tohti (siehe Bildschirm). Seine Tochter Jewher, die ihr Gesicht mit dem Monitor verdeckt (Mitte) nimmt den Preis entgegen. David Sassoli (r), Präsident des Europäischen Parlaments, präsentiert vor den Kameras die Urkunde.

Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Still zeigte Jewher Tohti das Bild ihres Vaters Ilham (50) im Plenum des Europäischen Parlamentes herum, ehe sie ihre Rede begann: „Niemand aus unserer Familie weiß, ob mein Vater noch lebt und ob er physisch noch derselbe Mann ist, den ich als Kind erlebt habe.“ Das war vor 2013, als der chinesisch-uigurische Menschenrechtler und Mathematik-Professor an der Minderheiten-Universität Peking für die Rechte der Uiguren kämpfte. Gesehen hat die 24-Jährige ihn zuletzt vor sechs Jahren. An diesem Mittwoch nahm sie stellvertretend für ihren Vater den mit 50 000 Euro dotierten Sacharow-Preis 2019 entgegen, den das Europäische Parlament einmal im Jahr für geistige Freiheit und im Gedenken an den sowjetischen Dissidenten und Physiker Andrej Sacharow verleiht.

Die überwiegend muslimischen Uiguren sind eine Minderheit in China, in der Provinz Xinjiang stellen sie – noch – die Mehrheit. Aber das Regime in der Hauptstadt will die Uiguren regelrecht ausrotten. Schätzungen zufolge leben mehr als eine Million Angehörige der Minderheit inzwischen in Lagern, die China offiziell als „Forschungseinrichtungen“ bezeichnet. Tatsächlich werden die Menschen aber dort unter Folter und inhumanen Bedingungen umerzogen. Ilham Tohti gehörte zu denen, die sich nicht mundtot machen ließen. „Wenn man etwas sagt, begeht man ein Verbrechen. Es ist eigentlich kein Verbrechen nach chinesischem Recht, aber wegen irgendeines Verbrechens wird man schon angeklagt, wenn man etwas sagt. Deshalb geben viele von uns auf“, sagte Tohti 2012. Zwei Jahre später wurde er wegen „Separatismus“ und Anstachelung zum Völkerhass“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Es war ein Prozess, der nur zwei Tage dauerte. Seither bangt die Familie. 2017 gab es ein letztes Lebenszeichen. Gestern erzählte Tohtis Tochter von ihren Erinnerungen, von den Nächten, in denen ihr Vater in ihrem Zimmer saß, „die ganze Nacht über Aufrufe und Bitten um Unterstützung an die ganze Welt schrieb und ich dabei geschlafen habe“. An diesem Mittwoch bat sie die Europäische Union inständig, „nicht wegzusehen“ und „Druck auf Peking“ zu machen, damit nicht nur ihr Vater freikomme, sondern die Rechte der Uiguren beachtet werden. „Hören Sie niemals damit auf, die Menschenrechte und die Gerechtigkeit überall auf der Welt einzufordern“, sagte die junge Frau. Es war eine Bitte. Doch die war an diesem Mittwoch zu schnell vergessen.

In diesem Jahr fielen Schatten auf die „Sternstunde des Parlamentes“, wie die Verleihung des Sacharow-Preises oft genannt wird, weil sich das Abgeordnetenhaus als „Gewissen Europas“ verstehen möchte. Denn nur eine halbe Stunde später verabschiedeten die Parlamentarier eine Entschließung, in der es auch um die Achtung der Grundwerte und den Kampf gegen ein korruptes und kriminelles Regime ging – aber dieses Mal in den eigenen Reihen. Die Volksvertreter wollten eigentlich die Situation in Malta verurteilen, die nach der Ermordung der Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia vor zwei Jahren offenkundig geworden war. Die Indizien für einen Auftragsmord, dessen Drahtzieher aus Kreisen der Regierung kamen, die ihren Etat mit Korruption und Geldwäsche füllt, hatten sich in den vergangenen Wochen gehäuft. „Ich wende mich direkt an Sie, Herr Premierminister Joseph Muscat“, erregte sich der spanische Christdemokrat Esteban González Pons. „Jeder Tag, den sie länger im Amt bleiben, ist eine Schande für die Demokratie und Beleidigung für das Andenken von Daphne Caruana Galizia. Treten Sie zurück.“ Es sei unbegreiflich, dass Muscat noch in der Vorwoche zum EU-Gipfel nach Brüssel gereist sei, ohne zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Aber die Empörung wurde gebremst, weil die Sozialdemokraten den zu ihrer Parteienfamilie gehörenden maltesischen Präsidenten schützen wollten. Fraktionschefin Iratxe García beließ es bei der harmlosen Warnung vor einer „Politisierung“ der Vorgänge um den Premier und riet dazu, die maltesische Polizei ihre Arbeit machen zu lassen.

 Die Uigurin Jewher Tohti weiß nicht, ob ihr Vater noch lebt.

Die Uigurin Jewher Tohti weiß nicht, ob ihr Vater noch lebt.

Foto: AP/Jean-Francois Badias
 Jüngste Proteste in der maltesischen Hauptstadt Valletta gegen Premierminister Joseph Muscat und sein Umfeld.

Jüngste Proteste in der maltesischen Hauptstadt Valletta gegen Premierminister Joseph Muscat und sein Umfeld.

Foto: dpa/Rene Rossignaud

Immerhin reichte es am Ende doch noch für eine Mehrheit, die den sofortigen Rücktritt von Premier Muscat forderte und im Übrigen ein Rechtstaatsverfahren nach Artikel 7 gegen Malta forderte. Es ist allerdings das gleiche Instrument, das schon gegen Ungarn wirkungslos blieb. China und Malta – zwei Fälle, in denen es um die Grundrechte ging, zwei unterschiedliche Reaktionen im Europäischen Parlament.

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