Saar-Tatort fällt bei Kritikern durch

Top Quote, flaue Kritik: „Totenstille“, der jüngste Tatort des SR, war der erfolgreichste seit 1993. Doch die Kritiker sehen das anders.

 Starker Charakter oder glanzloser Kasper? Devid Striesow als Kommissar Jens Stellbrink im SR-Tatort „Totenstille“ – hier mit Kassandra Wedel als taubstumme Tänzerin. Foto: SR/Manuela Meyer

Starker Charakter oder glanzloser Kasper? Devid Striesow als Kommissar Jens Stellbrink im SR-Tatort „Totenstille“ – hier mit Kassandra Wedel als taubstumme Tänzerin. Foto: SR/Manuela Meyer

Foto: SR/Manuela Meyer

Ist Geschmackssache, sagte der Affe und biss in die Seife - zu dieser weisen Conclusio könnte man nach jedem SR-Tatort kommen. Doch dann wäre es vorüber, das lustvolle Befindlichkeits- und Problemgespräch, das am Tag danach zum Saar-Tatort gehört wie einst das Baguette im Fahrrad-Einkaufskörbchen des Saarvoir-vivre-Kommissars Palu. Doch diesmal läuft was anders. Die Facebook-Kommentare auf den jüngsten Stellbrink-Fall "Totenstille", der am Sonntag ausgestrahlt wurde, klingen weniger biestig-enttäuscht - und sie haben einen neuen Fokus.

Fünf Mal bereits ermittelte Devid Striesow für den Saarländischen Rundfunk (SR): ein exzellenter Schauspieler, der in einer viel zu engen, auf Schrill-Verschroben aufgeplusterten Rollen-Jacke steckt und von Mittelmaß-Darstellern umzingelt ist. Auch muss er sich mit zwar unkonventionellen, aber unausgegoren-parodistischen Storys abmühen. So sahen das nicht wenige Fernsehkritiker. Die Saarländer hingegen bewegte in der Vergangenheit, auch bei den Stellbrink-Folgen, bisher etwas anderes, nämlich: Wie saarländisch ist der SR-Tatort? Produziert der Heimatsender peinliche Saar-Folklore für Reisekataloge? Oder verleugnet er vielleicht sogar Lokalkolorit?

Gestern fand sich davon kaum etwas im Netz. Mag sein, weil die ungeschönten Saarbrücker Schauplätze hohen Wiedererkennungswert hatten. Mit Pro und Contra debattiert wurden eher feuilletonistische Aspekte: Wie (un)glaubwürdig ist der verschrobene, bubihafte Jens Stellbrink? Wie (un)plausibel die Story, die im Gehörlosen-Milieu spielt und den Eindruck erweckte, der SR wolle sich für das Prädikat "besonders wertvoll" bewerben? Und warum wurden Striesows Kolleginnen (Elisabeth Brück, Nicole Dubois) - von Anbeginn umstritten - quasi aus der Folge herausgeschrieben und zu Statistinnen degradiert? Kurz: Die Saar-Tatort-Debatte hat das Selbstbespiegelungs-Feld verlassen und bewegt sich hinaus ins bundesweite Tatort-Leben.

Und das ist hart, aber unfair. So wurde kürzlich Til Schweiger als Kommissar Tschiller nach mauen Einschaltquoten (7,69 Millionen Zuschauer) zum Bashing-Opfer. Und selbst die Topquoten-Bringer aus Münster (Jan Liefers/Axel Prahl), die mitunter bis zu 14 Millionen Zuschauer mobilisieren, müssen Häme über ihren Niedergang aushalten. Vor diesem Hintergrund nimmt sich die Kritik an "Totenstille" geradezu zärtlich-einfühlsam aus. Allerdings fanden die "Leitmedien" zwischen Spiegel online und Berliner "Tagesspiegel" den Krimi mehrheitlich flau, nach dem Motto "Gut gemeint, schlecht gemacht" ("Frankfurter Rundschau"). Die Rede ist von Biederkeit, Vorhersehbarkeit, sogar der als Ausnahme-Talent geltende Striesow wird als "glanzloser Kasper" (Focus online) abgeurteilt. Lob erntet hingegen der unorthodoxe Einblick in den Gehörlosen-Alltag. Der übliche Meinungsstreit also.

Der Sender hält sich lieber an Fakten. Für den SR zählt die Rekord-Einschaltquote von 25,8 Prozent. 9,69 Millionen Zuschauer sahen bundesweit "Totenstille" - es war dies laut SR die höchste Zuschauerakzeptanz aller SR-Tatorte seit 1993. Im Saarland schauten 184 000 Menschen (36,9 Prozent Marktanteil) zu. Wie erklärt sich der Erfolg? Quoten hingen von "vielen Faktoren" ab, sagt SR-Sprecher Peter Meyer auf SZ-Nachfrage, unter anderem von der 20.15-Uhr-Konkurrenz in anderen Sendern. Für wichtiger hält er die Tatsache, dass diejenigen, die eingeschaltet hätten, bis zur letzten Minute drangeblieben seien. Man habe keine Zuschauer während der Ausstrahlung verloren, so Meyer. Seine Schlussfolgerung: "Also war es für die Zuschauer ein guter Tatort."

Und also geht es mit dem gleichen Team weiter, trotz des allgemein wahrgenommenen darstellerischen Gefälles rund um Striesow? "Wir führen keine Personaldebatten", sagt Meyer und verweist auf den nächsten Tatort, mit derselben Mannschaft: Am 24. Februar starteten die Dreharbeiten. Arbeitstitel: "Väter und Söhne". Gleichwohl leugnet er nicht, dass Charaktere "nachjustiert" würden. Das sei üblich bei Tatorten. Auszuschließen ist freilich, dass Stellbrink zu einer Maigret-Type wird - es ist das die Art von Kommissar, die sich mancher Zuschauer andernorts von den frankophilen Saarländern erhofft.

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HintergrundDevid Striesow hat bisher fünf SR-Tatorte gedreht: "Melinda" (2013), "Eine Handvoll Paradies" (2013), "Adams Alptraum" (2014), "Weihnachtsgeld" (2014) und zuletzt "Totenstille". Im Schnitt lag die Einschaltquote bei 24,4 Prozent. Das Vorgänger- Duo Maximilian Brückner/Gregor Weber hatte eine Durchschnittsquote von 21,6 Prozent. Deren Nicht-Vertragsverlängerung löste 2011 eine Empörungswelle im Saarland aus. Die Qualität der SR-Tatorte wurde bundesweit diskutiert. ce

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