Russland setzt gegen IS auf USA

Moskau · Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hat die Sanktionen gegen Russland in Frage gestellt. Begründung: Ohne Moskau keine Lösung in Syrien. SZ-Korrespondent Stefan Vetter sprach darüber mit dem Außenexperten der Grünen, Jürgen Trittin.

Vor seiner mit Spannung erwarteten Rede vor den Vereinten Nationen hat Russlands Präsident Wladimir Putin im Syrienkrieg gegen die Terrormiliz IS neue Fakten geschaffen. Russland, Syrien, der Irak und der Iran hätten ein gemeinsames Informationszentrum in der irakischen Hauptstadt Bagdad gegründet, bestätigten Diplomatenkreise.

Russischen Agenturen zufolge könnte die Einrichtung nicht nur zum Austausch, sondern auch zur Koordination gemeinsamer Kampfeinsätze gegen den IS genutzt werden. Bagdad wird militärisch von den USA ausgerüstet, die den Ausbau der russischen Position in dem Konfliktgebiet mit Argwohn sehen.

Putin wird heute bei der UN-Generaldebatte in New York sprechen. Dabei sowie bei einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama dürfte er ein Konzept für ein umfassendes Bündnis gegen den IS und zur Stabilisierung Syriens vorbringen.

Das neue Informationszentrum in Bagdad gilt als ein weiterer Schritt zu einer Allianz gegen den Islamischen Staat (IS), an der Putin trotz westlicher Bedenken auch Syriens Machthaber Baschar al-Assad beteiligen will. Dies wurde lange Zeit von Russland gefordert, aber von den Westmächten abgelehnt. Allerdings ist in die Haltung des Westens Bewegung gekommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU ) hatte vor wenigen Tagen überraschend gesagt, es müsse auch mit Assad gesprochen werden. Auch Paris rückte von einem strikten Nein ab. Die australische Außenministerin Julie Bishop erklärte sogar, die Haltung nehme zu, "dass die einzig denkbare Option eine Regierung der nationalen Einheit unter Einschluss von Präsident Assad" sei. Bei einem UN-Treffen habe sie gemerkt, dass mehr und mehr Staaten diese Ansicht teilten, sagte sie dem "Weekend Australian" vom Samstag. Eine kritische Wendung - der syrische Machthaber setzt im blutigen Bürgerkrieg unter anderem international geächtete Fassbomben ein und wird für einen Großteil der getöteten Zivilisten in dem Konflikt verantwortlich gemacht.

Russland beliefert Assad seit Jahren mit Waffen. Zudem hat das Land Berichten zufolge in den vergangenen Monaten eigenes Kriegsgerät und Armeeangehörige nach Syrien verlegt. Die russische Führung bestätigt bislang lediglich, dass Militärberater in Syrien seien. Russland schließt aber auch die Entsendung von Soldaten für Kampfeinsätze nicht aus. Der Westen, der unter US-Führung selbst mit Luftangriffen auf den IS und mit der Ausrüstung syrischer Rebellen engagiert ist, sieht dies mit Skepsis.

Das US-Projekt zum Aufbau einer gemäßigten Armee in Syrien erlitt derweil einen erneuten Rückschlag. Die US-Streitkräfte prüfen Hinweise, dass von ihnen ausgebildete Rebellen Kriegsmaterial an die terroristische Al-Nusra-Front gegeben haben. Der Verdacht richtet sich gegen einen Kommandeur der Neuen Syrischen Kräfte (NSF). Die USA wollen jedes Jahr 5000 Mann für den Bodenkampf gegen den IS ausbilden. Bislang haben jedoch erst wenige Dutzend ihr Training abgeschlossen.

Herr Trittin, die Bundeskanzlerin hat kürzlich Gespräche mit Syriens Diktator Assad angeregt, um den Krieg dort zu beenden. Darf man mit einem Mann reden, der sein eigenes Volk bombardiert?

Trittin: Ich sehe in dem Kursschwenk der Kanzlerin den Willen für eine überfällige Korrektur der Syrien-Politik Europas wie der USA. Man hat jetzt drei Jahre lang vergeblich auf einen Sturz Assads gesetzt und dafür sogar den Vormarsch terroristischer Kräfte wie der Al-Nusra-Front und des IS in Kauf genommen, den man nun wieder einfangen muss. Deshalb wird man mit Assad reden müssen. Fest steht allerdings auch, dass Assad in einem stabilisierten Syrien am Ende nicht Teil der Lösung sein kann. Er ist und bleibt ein Problem.

Ist der Westen dann nicht auch dazu verurteilt, künftig wieder stärker auf Moskau zuzugehen?

Trittin: Was heißt "verurteilt"? Wir haben mit Russland gemeinsam die syrischen Chemiewaffen zerstört. Wir haben mit Russland gemeinsam den Vertrag über die Begrenzung der nuklearen Forschung und Anreicherung im Iran auf den Weg gebracht. Russland ist ein Faktor in der internationalen Politik. Offensichtlich ist es gut, wenn man das Land bei der Lösung solcher Probleme an seiner Seite hat.

Heißt das auch, die Sanktion gegen Moskau zu überdenken, die der Westen im Zuge des Ukraine-Konflikts verhängt hat?

Trittin: Langfristig wird man Russland nicht als Partner haben und gleichzeitig die Sanktionen aufrechterhalten können. Da hat Gabriel durchaus Recht, auch wenn er mal wieder zu voreilig ist.

Das ausführliche Interview lesen Sie unter www.saarbruecker-zeitung.de/berliner-buero

Erstmals seit Beginn des Syrienkrieges hat Frankreich Luftangriffe in Syrien auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geflogen. Dabei sei ein Ausbildungslager des IS im Osten des Landes zerstört worden, teilte Staatspräsident François Hollande gestern bei einer UN-Veranstaltung in New York mit. Sechs französische Flugzeuge, darunter fünf Rafale-Jets, hätten das Lager bei Dair as-Saur komplett zerstört, sagte Hollande.

Am Morgen hatte der Élyséepalast den Beginn der Luftangriffe bekannt gegeben und erklärt: "Wir werden jedes Mal zuschlagen, wenn unsere nationale Sicherheit auf dem Spiel steht." Gleichzeitig mahnte das Präsidialamt "eine umfassende Lösung" der Krise an.

Noch vor einem Jahr hatte Hollande Luftangriffe auf den IS in Syrien ausgeschlossen, um damit dem Machthaber Baschar al-Assad nicht in die Hände zu spielen. Doch bei seiner Pressekonferenz vor drei Wochen vollzog der Staatschef eine strategische Kehrtwende und kündigte zunächst Aufklärungsflüge über Syrien an.

Die Gefahr durch den IS ist es wohl auch, die Hollande inzwischen dazu bringt, über Assad als Gesprächspartner nachzudenken. "Frankreich spricht mit allen und schließt niemanden aus", sagte der Präsident, der vor zwei Jahren noch zu Angriffen auf Assads Truppen bereit war.

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HintergrundTrotz der Spannungen in der Ost-Ukraine haben Moskau und Kiew unter Vermittlung der EU eine Einigung im Gasstreit erzielt. Der Vertrag über die Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen sei paraphiert worden, sagte der für Energie zuständige stellvertretende EU-Kommissionspräsident Maros Sefcovic. In der bis März geltenden Vereinbarung sagt Russland eine Reduzierung des Gaspreises zu. afp

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