Überblick über Wirksamkeit und Nebenwirkungen Trendwende durch Corona-Medikamente – das denkt Saar-Professor Lehr

Berlin · Einige Mittel gegen das Coronavirus wurden eben erst neu in der EU zugelassen. Im Einsatz sind sie aber schon länger. Was ist bekannt über Wirksamkeit und Nebenwirkungen? Ein Überblick.

Eine Intensivpflegerin hält auf der Covid-19-Intensivstation  Medikamente für eine Corona-Patientin in der Hand. Jüngst richtet sich der Blick auf neue Medikamente gegen das Coronavirus. Wie berechtigt ist die Hoffnung darauf?

Eine Intensivpflegerin hält auf der Covid-19-Intensivstation  Medikamente für eine Corona-Patientin in der Hand. Jüngst richtet sich der Blick auf neue Medikamente gegen das Coronavirus. Wie berechtigt ist die Hoffnung darauf?

Foto: dpa/Robert Michael

Zunächst gab es die nachweislich wirksamen Impfstoffe. Jetzt sind in der EU auch die ersten Medikamente zugelassen, die das Coronavirus direkt attackieren. Experten beurteilen die Studien über die Arzneimittel durchaus positiv. Sie schützen zwar nicht vor einer Infektion, können aber einen schweren Krankheitsverlauf verhindern. „Die Medikamente sind eine Säule in der Coronavirus-Bekämpfung“, sagt Pharmazie-Professor Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes. „Es ist gut, dass wir endlich diese Mittel haben.“ Doch eine Kehrtwende für die Pandemie sieht der Wissenschaftler aus Saarbrücken in ihnen noch nicht. „Die Impfung ist der billigere und definitiv viel bessere und effizientere Weg.“

Auch wenn die Arzneien jetzt erst zugelassen wurden – es gibt sie schon seit Monaten in Deutschland. Bereits Anfang 2021 hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für 400 Millionen Euro 200  000 Dosen Antikörper-Medikamente gekauft. Diese wurden aber nur selten eingesetzt.

Wie die Antikörper-Medikamente wirken:

Jüngst gab die EU für zwei Antikörper-Medikamente grünes Licht: Ronapreve des Schweizer Pharmaunternehmens Roche und Regkirona des Herstellers Celltrion aus Südkorea binden bei Infizierten das Spike-Protein von Sars-CoV-2 an sich, so dass der Erreger nicht in die Körperzellen eindringen kann. Damit soll dessen Ausbreitung verhindert und die Viruslast möglichst niedrig gehalten werden. Beide Mittel müssen als Infusion verabreicht werden – meistens im Krankenhaus.

Bei Ronapreve, einem Antikörper-Cocktail aus Casirivimab und Imdevimab, zeigen Studien: Die Gefahr für Risiko-Patienten, nach einer Corona-Infektion ins Krankenhaus zu kommen oder gar zu sterben, ist um 70 Prozent reduziert. Zudem soll sich bei frisch Infizierten die Viruslast um 90 Prozent verringern und die Gefahr, überhaupt Symptome zu entwickeln, um etwa die Hälfte.

Regkirona mit dem Antikörper Regdanvimab zeigt bei Patienten mit milden bis moderaten Symptomen, dass sie schneller genesen und seltener einen schwereren Verlauf haben. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA verweist etwa auf eine Studie, nach der rund drei Prozent der behandelten Patienten in Kliniken eingewiesen werden mussten, Sauerstoff bekamen oder sogar starben. Bei den Patienten, die das Mittel nicht bekommen hatten, waren es gut elf Prozent.

Wie die Wirkung eingeschätzt wird:

„Die Medikamente haben eine ganz gute Schutzwirkung, aber mit einer Wirksamkeit von etwa 75 Prozent gegen schwere Verläufe liegen sie noch unter der Wirksamkeit von mRNA-Impfungen – vor allem nach einer Booster-Impfung“, sagt Lehr. Zudem müsse sich erst noch beweisen, wie effektiv die Medikamente in der Realität seien. Denn Ergebnisse aus klinischen Studien seien in der Regel nicht eins zu eins übertragbar, die Wirksamkeit möglicherweise niedriger. Und es gibt noch einen Haken: Die beiden Mittel sind nicht für alle Corona-Betroffenen geeignet, sondern eigentlich nur für Patienten mit Risiko für einen schweren Verlauf –  die aber noch keine oder wenige Symptome haben.

Was es noch gegen Corona gibt:

Weltweit wird nach Angaben des US-Biotech-Branchenverbands Bio an mehr als 600 Medikamenten gegen Covid-19 geforscht. Zehn Präparate befinden sich bei der EMA auf verschiedenen Stufen im Zulassungsverfahren. Unter anderem Medikamente wie Baricitinib (Eli Lilly), Anakinra (Sobi) oder Tocilizumab (Roche) zielen auf die Folgen einer Viruserkrankung ab. Vor allem bei schweren Verläufen werden diese Mittel verabreicht. Daneben gebe es zwei antivirale Medikamente, die eine „ganz ordentliche Wirksamkeit gezeigt haben“, so Lehr. Also Präparate, die direkt den Vermehrungszyk­lus der Viren unterbrechen sollen. Bei Molnupiravir (MSD/Merck), das ursprünglich gegen Grippe entwickelt wurde, zeigte sich in der sogenannten Phase-III-Studie eine Halbierung der Zahl von Covid-Patienten, die ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Erst am Dienstag gab die EMA bekannt, mit der Prüfung für eine Zulassung zu starten. Mit Paxlovid (Pfizer) konnten Testergebnissen des Herstellers zufolge Klinikeinweisungen und Todesfälle bei Hochrisiko-Patienten um fast 90 Prozent gesenkt werden.

Was über Nebenwirkungen bekannt ist:

Über die Antikörper-Mittel sagt Lehr: „Die Substanzen sind relativ sicher.“ Es könne zwar Irritation an der Einstichstelle der Infusion geben, aber nennenswerte Nebenwirkungen seien bisher nicht bekannt. Damit sind diese Mittel Ausnahmen – bei den anderen Medikamenten könnten durchaus unerwünschte Folgeerscheinungen auftreten. „Ein Medikament, das keine Nebenwirkungen hat, gibt es nicht – und das wirkt auch nicht.“ Studien zu den Medikamenten vor ihrer Zulassung haben meist eine Größe zwischen 1000 und 2000 Patienten. Zum Vergleich: Beim Impfstoff von Biontech nahmen insgesamt 43 000 Probanden an der wichtigen Phase-III-Studie teil, bei Moderna waren es rund 30 000. Die Medikamente sind also vor der Zulassung bei viel weniger Menschen getestet worden, als es bei den Impfstoffen der Fall war.

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