Raum für Integration

Völklingen. Ein gefühlvoller Stoß schickt die Kugel über den grünen Filz - die blaue 2 kullert ins Loch. An den Computern fliegen die Finger über die Tastaturen. Beim Tischfußball bricht Jubel aus, der Ball ist im Tor. An einer Wand prangt der Schriftzug "JUZ Völklingen". Der Raum ist rappelvoll mit Jugendlichen, die sich über die laute Musik hinweg anschreien müssen

Völklingen. Ein gefühlvoller Stoß schickt die Kugel über den grünen Filz - die blaue 2 kullert ins Loch. An den Computern fliegen die Finger über die Tastaturen. Beim Tischfußball bricht Jubel aus, der Ball ist im Tor. An einer Wand prangt der Schriftzug "JUZ Völklingen". Der Raum ist rappelvoll mit Jugendlichen, die sich über die laute Musik hinweg anschreien müssen. Rap, Hip Hop, Elektro. Die Jungs werfen sich derbe Sprüche zu, die Mädchen tuscheln und kichern gern. Ein Jugendzentrum wie jedes andere? Ja - und doch auch nicht.

Etwa 95 Prozent der Jugendlichen im Juz Völklingen haben ausländische Wurzeln. Sie leben in einer Stadt, in der der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund so hoch ist wie nirgends sonst im Saarland - und in der immer wieder Feuer in Häusern gelegt werden, in denen Migranten leben. Studien bescheinigen diesen regelmäßig ein Scheitern bei der Integration - oder gar mangelnden Willen dazu. Und so sehr sie sich auch wünschen, es wäre nicht so: Sie spüren, dass sie anders sind - denn sie bekommen es immer wieder zu spüren. Das Juz ist für sie so etwas wie ein sicherer Hafen.

"Vor Kurzem habe ich eine Frau auf der Straße nach der Uhrzeit gefragt. Da hat sie ihre Handtasche hinter ihrem Rücken versteckt und sich an der Wand entlang an mir vorbei gedrückt", erzählt Sinan (18, alle Namen geändert). "Weil Du ein Schwarzkopf bist", wirft Ferhat (19) ein. Schwarzkopf - jemand mit dunklen Haaren und dunkler Haut. Sinans Eltern kommen aus der Türkei. Der Blick aus seinen tiefbraunen Augen scheint gelassen, doch unterschwellig strahlt der junge Mann Anspannung und Wut aus. Er und seine Kumpels haben viele solcher Geschichten zu erzählen - manche demütigend, andere frustrierend. Die meisten der Kids haben den größten Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht oder sind sogar hier geboren. Viele haben einen deutschen Pass. Doch keiner von ihnen bezeichnet sich als Deutscher. "Ein Pass ändert nicht, wer ein Mensch ist", sagt Bekir (16), der mit seinen blauen Augen und blonden Haaren von Anfeindungen am ehesten verschont bleibt. "Wir gehören nicht dazu", betont Sinan. In Deutschland sind sie die Ausländer, in der Heimat ihrer Familien die Deutschen. Ausgrenzung, Beleidigungen, Vorurteile - nicht gerade eine gute Basis für Integration. "Da ist es doch klar, dass wir auch mal ausrasten und Stress machen wollen", sagt Ferhat. "Wir können uns nicht alles gefallen lassen. Wenn wir als asozial dargestellt werden, können wir uns auch so benehmen", sagt Alessandro (19).

Kaum ist ihm der Satz rausgerutscht, fliegt sein Blick zu der Frau gegenüber am Tisch. Er senkt den Kopf und lächelt schuldbewusst in den Kragen seiner Lederjacke. Er erwartet Widerspruch. Diana Wachs hält den Blick auf den jungen Mann aus Italien gerichtet. Die Juz-Leiterin wartet, bis er sie wieder ansieht. "Du weißt, was ich davon halte", sagt sie ruhig. "Du kannst nicht sagen: Ich randaliere jetzt, weil ich unterdrückt werde, weil ich nicht gehört werde. Damit löst man den Konflikt nicht. Ihr müsst das mit Worten regeln." Alessandro schaut skeptisch, nickt aber.

So glimpflich läuft es nicht immer ab. Dann, wenn die Jugendlichen nicht im Juz sind - wenn keiner ihr Temperament zügelt, ihren Frust und ihre Aggressionen mit ihnen aufarbeitet. Dann prügeln sie sich oder stehlen etwas. "Natürlich gibt es die, die es nur zur Bestätigung ihrer Männlichkeit tun. Aber meistens sind es Affekthandlungen. Sie fühlen sich in ihrer Ehre oder ihrem Stolz angegriffen", sagt Diana Wachs. Das liege zum einen an der Erziehung - in ihren Elternhäusern gehören Schläge oft dazu. Zudem lebten sie in einem inneren Spannungsfeld, "weil sie nirgends richtig dazugehören".

Wenn die Jugendlichen Probleme mit der Polizei bekommen, stehen die Juz-Betreuer ihnen bei. Sie begleiten sie zu Anhörungen, versuchen zu vermitteln - aber vor allem verdeutlichen sie ihnen immer wieder, warum Gewalt der falsche Weg ist. "Vielleicht machen wir nur kleine Fortschritte, aber es kommt immer wieder vor, dass ein Jugendlicher zu mir sagt: 'Diana, ich hab mich letztens so geärgert, aber ich habe nicht zugeschlagen'."

Diana Wachs ist für die Jugendlichen die coole große Schwester. Die Mädchen legen gern den Arm um sie, die Jungs behandeln sie kameradschaftlich, aber immer respektvoll. Die Juz-Leiterin redet sich in ihrem Job buchstäblich den Mund fusselig. Doch zwei Sätze fallen dabei niemals: "Das darfst Du nicht!", sowie "Das ist falsch!". "Ich versuche immer, den Kids zu erklären, warum etwas nicht in Ordnung ist oder warum sie etwas anders machen sollen."

Das Jugendzentrum ist ein "Schutzraum", sagt Diana Wachs. Hier können die Jugendlichen alle Spannungen draußen lassen. Diana Wachs versucht, im Juz Integration zu leben. Den Teufelskreis aus Vorurteilen, Ängsten, Resignation, Wut und Trotz aufzubrechen. "Es ist wichtig, den Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen, ihnen zuzuhören, sie individuell wahrzunehmen", sagt sie. Das erzeuge Vertrauen und Respekt. "Hier ist jeder gleich, solange er sich benimmt." Wer sich nicht an die Regeln hält, muss gehen. Rüpelhaftes Benehmen, Respektlosigkeit und Handgreiflichkeiten dulden Leiterin Wachs und ihr Team nicht. Die Jugendlichen akzeptieren das. Vor allem für die Mädchen bietet das Juz Entfaltungsmöglichkeiten, die sie zu Hause nicht immer haben. Dort gelten oft die traditionellen Geschlechterrollen der Herkunftsländer. Es geht strenger zu. Shirins (13) Eltern sind Kurden, Aminas (15) Familie kommt aus Marokko. Für die beiden ist es normal, dass Jungs mehr Freiheiten haben als Mädchen. "Das ist halt so", sagt Nawal lapidar. Partys, schwimmen gehen, mit Jungs rumhängen - das ist für einige der Mädchen tabu. Im Juz haben sie die gleichen Rechte, lernen sich zu behaupten. Und die Jungs lernen, sie zu respektieren - auch wenn das nicht immer reibungslos läuft. "Vor ein paar Stunden habe ich einen Jungen nach Hause geschickt, der einem Mädchen gegenüber handgreiflich wurde", sagt die Leiterin.

Wann im Juz Ärger droht, erkennt Diana Wachs bereits im Ansatz. Von einer ramponierten schwarzen Ledercouch in der Mitte des Raums hat sie den Überblick über das Treiben. Wachsam schaut sie zu der Gruppe beim Tischfußball. Zwei Mädchen spielen gegen zwei Jungs. Friedlich zunächst, dann ändert sich die Stimmung. Die Gesichter sind angespannt. Die Juz-Leiterin ist kurz davor, aufzustehen. Aber die Lage entspannt sich von allein, die Kicker-Partie geht weiter. Diana Wachs lehnt sich wieder zurück.

"Es gab wohl ein Verständigungsproblem", vermutet sie. Die Jungs sind Flüchtlinge aus Afghanistan. Allerdings können die meisten kein Deutsch, deshalb bleiben sie gern unter sich. "Da kann es zu einer Art Revierstreit kommen", erklärt Wachs. "Die Eingesessenen sagen manchmal: 'Mensch, schaut Euch die an, die können ja nicht mal Deutsch.' Dann sage ich zu ihnen: 'Hört euch mal an! Ihr klingt genauso wie die Deutschen, über die ihr euch sonst aufregt.'" Toleranz und Integration haben eben viele Facetten. Das findet auch Yasser (21). Als er zwei Jahre alt war, flohen seine Eltern vor dem Bürgerkrieg in Algerien. Integration, so weiß er, hat mit Anpassung zu tun. Die Familie lebte in einer winzigen Wohnung im Auffanglager in Lebach, meist spielte er mit seinen Brüdern. "Weil ich die Sprache nicht konnte", sagt er. "Die Sprache ist der Anfang." Yasser hat inzwischen viele deutsche Freunde. "Den Leuten, die sagen, Deutschland ist scheiße, könnte ich eine an den Backen hauen." "Wenn wir als asozial dargestellt werden, können wir uns auch so benehmen."

Alessandro,

19 Jahr alt

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