Radikaler Machtwechsel in Kanada

Vancouver · Machtwechsel in Kanada: Nach fast zehn Jahren erlebt der konservative Premierminister Harper ein Fiasko und muss sich seinem jungen liberalen Herausforderer Trudeau geschlagen geben.

Die kanadischen Bürger haben in einer dramatischen Wahl einer neuen liberalen Regierung zum Sieg verholfen. Nach neun Jahren konservativer Politik hat eine Mehrheit der Stimmbürger am Montag Premierminister Stephen Harper in die Wüste geschickt. Der designierte Premier Kanadas, der 43-jährige Liberale Justin Trudeau, erklärte nach dem Wahlsieg: "Wir haben eine negative, polarisierende Politik mit einer positiven Vision besiegt, die Kanadier zusammenbringt."

Die überwältigende und unerwartete Dominanz der Liberalen in diesen Parlamentswahlen ist erstaunlich. Die einst staatstragende Partei war nach Korruptionsskandalen noch vor vier Jahren ein kümmerliches Häufchen von 34 Abgeordneten im Parlament gewesen. Nun belegen sie 184 von 338 Sitzen, während die Konservativen nur auf 99 Mandate kommen. Aber in ganz Kanada war in der Bevölkerung seit Wochen ein äußerst starker Wunsch nach einer Veränderung spürbar gewesen. Besonders an der Person Stephen Harpers, seiner Kontrollwut und Geheimniskrämerei, seiner Verachtung für das Parlament und die Gerichte, hatten sich viele Debatten entzündet. Harper hatte sich in weiten Kreisen mit seiner Politik der Spaltung unbeliebt gemacht.

Sein Herausforderer, der ehemalige Theater- und Snowboardlehrer Justin Trudeau, ist das pure Gegenteil von Harper. Der gutaussehende Hobbyboxer und Judo-Athlet erregt dieselbe Bewunderung wie einst sein Vater, der legendäre Ex-Premierminister Pierre Elliott Trudeau, der Kanada insgesamt 15 Jahre lang regierte. Justin Trudeau besitzt dessen Selbstdisziplin und Intelligenz.

Viele Kanadier sahen in Harper einen Mann, der der Wirtschaft - insbesondere der Ölindustrie - unnötige Geschenke in Form von Steuererleichtungen macht. Justin Trudeau will dagegen die Steuerlast der kleinen Verdiener erleichtern, aber die Reichen mehr schröpfen. Trotzdem präsentiert sich der Vater von drei kleinen Kindern, der mit einer Yogalehrerin und Ex-Fernsehmoderatorin verheiratet ist, als Mann der Mitte. Er ist nicht grundsätzlich gegen Ölpipelines , aber für eine striktere Überprüfung der Bedingungen.

Der neugewählte Premierminister will das unter Harper erkaltete Verhältnis zu den USA verbessern. Im Wahlkampf erklärte er, nach seinem Amtsantritt werde er als erstes den US-Präsidenten Barack Obama anrufen. Justin Trudeau machte auch klar, dass er mit internationalen Organisationen besser zusammenarbeiten will. Das war eine der Schwächen Harpers: Kanada erhielt deswegen 2010 keinen Sitz im Uno-Sicherheitsrat.

Meinung:

Land der Mitte

Von SZ-MitarbeiterinBernadette Calonego

Kanada ist im Kern ein Land der politischen Mitte. Trotzdem konnte sich der weitherum unbeliebte konservative Premierminister Stephen Harper neun Jahre lang an der Macht halten. Schuld war einerseits das Mehrheitswahlrecht. Andererseits sahen die Kanadier keine ernsthafte Alternative - bis der jugendliche, mitreißende Liberale Justin Trudeau auf den Plan trat. Er verkörpert ur-kanadische Werte: Toleranz, Offenheit, Mitgefühl, Optimismus, nationale Einheit. Und ein bisschen Glamour. Die Trudeaus sind für Kanada, was die Kennedys für die USA, samt dem tragischen Lawinentod von Justin Trudeaus Bruder Michel. Aber Trudeaus Wahl steht auch für eine neue Ära: Die sonst apathischen Kanadier stimmten für ihn und gegen die Abwertung demokratischer Prozesse durch die Harper-Regierung.

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