Quote statt Qualität
Köln/Saarbrücken. Einige Politiker hatten ihr Urteil bereits über den neuen Polit-Talk von Stefan Raab (46) gefällt, bevor die Sendung überhaupt zum ersten Mal gelaufen war. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach von "absolutem Unfug", Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) befürchtete gar eine "Veralberung"
Köln/Saarbrücken. Einige Politiker hatten ihr Urteil bereits über den neuen Polit-Talk von Stefan Raab (46) gefällt, bevor die Sendung überhaupt zum ersten Mal gelaufen war. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach von "absolutem Unfug", Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) befürchtete gar eine "Veralberung". Auch der saarländische Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) sagte seine Teilnahme ab. Und zwar wegen Unstimmigkeiten mit dem Sender. Doch wer am Sonntagabend tatsächlich einschaltete, merkte schnell: alles halb so schlimm.Raab machte sogar eins besser als alle ARD- und ZDF-Talks: Er holte gleich bei der Premiere von "Absolute Mehrheit - Meinung muss sich wieder lohnen" viele junge Menschen und damit Jungwähler vor den Fernseher. Gerade bei den 14- bis 29- Jährigen hatte er mehr Zuschauer als alle ARD- und ZDF-Talks der vergangenen Woche zusammen. Aus dieser Altersgruppe schalteten bei Raab rund 500 000 Menschen ein. Das waren mehr als dreimal soviel wie die 160 000 jungen Zuschauer bei Günther Jauch. Bei Frank Plasberg und Sandra Maischberger schalteten zuletzt etwa 90 000, bei Anne Will und Reinhold Beckmann je 30 000 und bei Maybrit Illner etwa 50 000 junge Menschen ein.
Zum Einstieg umriss der Wok-WM-Erfinder und Lena-Entdecker in wenigen Sätzen die Bedeutung politischer Prozesse auch für werberelevante Zielgruppen ("Politik bestimmt Ihr Leben") und bat alsdann seine Gäste auf ein Sofa unter dem Bundesadler. Es nahmen Platz Wolfang Kubicki (FDP), Thomas Oppermann (SPD), Michael Fuchs (CDU), Jan van Akten (Linke) und die Unternehmerin Verena Delius.
Raabs erste Frage galt dem SPD-Mann Oppermann: "Wie lange ist Peer Steinbrück noch Kanzlerkandidat?" In dem Stil ging es weiter. Mal war die Schmerzgrenze leicht überschritten ("Herr Fuchs, nächste Frage: Wer hat die Gans gestohlen?"), mal wirkte diese Unbefangenheit erfrischend. "Insgesamt war Raab überraschend gut informiert, deutlich besser als Jauch normalerweise", meint Professor Klaus Arnold, Medienwissenschaftler der Universität Trier, gestern zur SZ. Großen Erkenntnisgewinn habe die Show aber nicht gebracht. Warum? "Sie hat einen entscheidenden Haken: Sie will zu viel Inhalt in zu kurzer Zeit rüberbringen", so Arnold. In der 90-minütigen Pro-Sieben-Sendung wurden nacheinander drei Themen Steuergerechtigkeit, Energiewende und soziale Netzwerke "durchgejagt". Die Talkrunden wurden dann jeweils noch mit collagenartigen Filmchen angerissen. Während sich die Gäste stritten, konnten die Zuschauer per SMS oder Telefon demjenigen ihre Stimme geben, mit dem sie am meisten übereinstimmten. "Speedmeinungsbildung" war Raabs Stichwort dafür. Sollte am Ende jemand die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen, würde er mit 100 000 Euro belohnt werden. So mancher Politiker hatte das schon im Vorlauf als anrüchig kritisiert, für Raab hingegen ist es nur die Konsequenz einer zu Ende gedachten Mediendemokratie.
Sat-1-Nachrichtenchef Peter Limbourg entrollte regelmäßig Balkendiagramme auf einem Monitor und unterrichtete damit über den aktuellen Stand. Am Ende gewann der eloquente Wolfgang Kubicki, allerdings nicht mit absoluter Mehrheit, sondern nur mit 42,6 Prozent. Deshalb wanderten die 100 000 Euro in den Jackpot für die nächste Ausgabe von "Absolute Mehrheit".
Wie komme es nur, dass jemand von der FDP bei ihm gewinne, wo die Partei doch so schlecht dastehe, wunderte sich Raab. Da gab's dann Nachhilfe von Polit-Profi Limbourg: Herr Kubicki sei hier ja eher angetreten als "Volkstribun, der sich gnadenlos gegen seine Partei positioniert". Noch wichtiger dürfte für Raab gewesen sein, dass die Quote stimmte: 1,79 Millionen Zuschauer (11,6 Prozent Marktanteil) entschieden sich für den mitternächtlichen Talk - bei den 14- bis 49-Jährigen betrug der Marktanteil sogar 18,3 Prozent.
Und das sei die größte Stärke der Sendung, findet auch Hans Ley (CDU), Präsident des saarländischen Landtags. "Vielleicht ist Stefan Raabs Show ein Weg, Menschen anzusprechen, die sich sonst nicht für Politik interessieren." Strittig sei allerdings, ob die dort vermittelten Inhalte als Information reichten. Wenn junge Zuschauer solche Shows als ersten Schritt sehen würden, für Themen sensibilisiert zu werden, "finde ich sie in Ordnung", so Ley. Bei der Informationsvermittlung sieht er die Politik-Talkshows der öffentlich-rechtlichen Anstalten vorn. "Dort geht es weniger um Quote als um Inhalte." Ähnlich Gerd Bauer, Direktor der Landesmedienanstalt Saarland. Seiner Meinung nach gibt es generell zu viele Talkshows mit Politikern. Sein Fazit zur Raab-Sendung fällt nüchtern aus: "Talkshows mit Wettbewerbscharakter können ernsthafte politische Berichterstattung in einem Vollprogramm nicht ersetzen."