100 Jahre Prohibition Schnaps, Schmuggel und Scherben

Washington · Vor genau 100 Jahren wurde in den USA der Alkohol verboten. Der Artikel veränderte das ganze Land – aber anders als erhofft.

 Verbote machen kreativ: Diese Aufnahme von 1924 zeigt Whiskeyflaschen, die findige Gangster in ausgehöhlten Brotlaiben schmuggelten.

Verbote machen kreativ: Diese Aufnahme von 1924 zeigt Whiskeyflaschen, die findige Gangster in ausgehöhlten Brotlaiben schmuggelten.

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Das Alkoholverbot war gerade mal zwei Stunden in Kraft, da wurden bereits die ersten Festnahmen gemeldet. In Peoria, einer Industriestadt in Indiana, beschlagnahmten die Behörden zwei Lastwagenladungen Whiskey. Die Kisten waren, wie die zuständige Finanzverwaltung erklärte, von Mitarbeitern der Destillerie, die den Whiskey hergestellt hatte, aus der fabrikeigenen Lagerhalle gestohlen worden, um ihn später mit großem Gewinn zu verkaufen. Den späteren Präsidenten Warren Harding verhaftete keiner, als er Hochprozentiges im Wert von 1600 Dollar aus seinem Washingtoner Privathaus in seine Amtsräume im Senat bringen ließ, damit er nicht auf dem Trockenen sitzen musste.

Von Anfang an trieb sie seltsame Blüten, die Prohibition. Am 16. Januar 1920 trat, nachdem im US-Kongress wie in den bundesstaatlichen Parlamenten die notwendigen Mehrheiten zustande gekommen waren, der 18. Zusatzartikel zur Verfassung in Kraft. Er verbot die Herstellung, den Verkauf und den Transport alkoholischer Getränke in den Vereinigten Staaten.

Eine Minute nach Mitternacht, schwärmte die Anti-Saloon-League, die mächtige Interessenvertretung der Alkoholgegner, werde eine neue Nation geboren. Seit Jahren hatten die Temperenzler der ASL im Bund mit evangelikalen Fundamentalisten, mit Frauenverbänden und schließlich auch mit dem Progressive Movement, der großen Reformbewegung jener Zeit, für die Prohibition gekämpft. In einem Land, in dem etwa der Bierkonsum drastisch angestiegen war, von 36 Millionen Gallonen (eine Gallone entspricht 3,78 Litern) 1850 auf 855 Millionen im Jahr 1890.

Werde eine Familie oder auch ein ganzes Land durch den Alkohol verführt, sei man dem Niedergang geweiht, bis man im Verderben ende, hatte Richmond Hobson, Abgeordneter aus Alabama und einer der fanatischsten Fürsprecher des Verbots, in düsteren Worten gewarnt. Ein nüchternes Land dagegen erreiche eine höhere Stufe der Zivilisation.

Dass die bekanntesten Biermarken zumeist auf deutsche Einwanderer zurückgingen und Deutschland im Ersten Weltkrieg der Gegner war, wusste die Prohibitionsfraktion gleichfalls für sich zu nutzen. Der Feind stehe nicht nur am anderen Ufer des Atlantiks, wetterte ein Republikaner namens John Strange und zählte die Namen heimischer Bierbrauerdynastien auf: Pabst, Schlitz, Blatz, Miller.

Es ist nicht so, dass das Verbot wirkungslos blieb. Tatsächlich tranken die Amerikaner durchschnittlich weniger Alkohol, im Laufe der folgenden Dekade etwa dreißig Prozent weniger. Natürlich blieb das weit hinter den Erwartungen der Anti-Saloon League zurück, was nicht zuletzt am grenzenlosen Einfallsreichtum unzähliger Barbetreiber lag. Allein in New York gab es Ende der 1920 Jahre, so schätzte es damals der Polizeichef der Stadt, ungefähr 32 000 illegale Lokale.

Im legendärsten, dem Club 21 in Manhattan, hatten sie sich ein raffiniertes Prozedere ausgedacht, um den Tresen buchstäblich auf Knopfdruck verschwinden zu lassen, falls Kontrolleure im Anmarsch waren. Alarmiert durch einen Türsteher, ließ der Barkeeper sämtliche Flaschen in einen Schacht rauschen, wo sie an einem Geflecht aus Eisenstäben zerschellten und schließlich auf einem Steinhaufen im Keller landeten. Was blieb, waren Scherben und der Geruch von Schnaps. Wobei Gerüche allein als Beweismittel nicht zählten. „Speak-easy“ wurden solche Schankstuben im Volksmund genannt: Wer Verbotenes tat, sollte leise sprechen, auf dass die Runde der heimlichen Zecher nicht schon durch ihre Lautstärke Verdacht erregte.

Was die Fürsprecher der Prohibition offenbar überhaupt nicht oder zu wenig bedachten, waren die unerwünschten Nebenwirkungen ihres Banns. Der ließ engmaschige Schmugglernetzwerke entstehen, vor allem entlang der kanadischen Grenze, und das organisierte Verbrechen aufblühen. In Chicago war es Al Capone, der berüchtigte Mafia-Boss, der im Zusammenspiel mit der „Purple Gang“ aus Detroit für ständigen Nachschub sorgte – täglich 1500 bis 2000 Kisten Likör.

Die Prohibition, zieht der Buchautor Daniel Okrent in seinem Bestseller „Last Call“ nüchtern Bilanz, habe sich in jeder Beziehung als Fehlschlag erwiesen. Sie habe der Kriminalität Vorschub geleistet, den Fiskus dringend benötigter Einnahmen beraubt und die Rechte des Einzelnen in empfindlicher Weise eingeschränkt.

  Die militante Abstinenzlerin Carrie Nation mit Beil und Bibel. Sie ging während der Prohibition mit ihrer Waffe durch Trinkhallen und zerschlug Whisky- und Bierfässer.

Die militante Abstinenzlerin Carrie Nation mit Beil und Bibel. Sie ging während der Prohibition mit ihrer Waffe durch Trinkhallen und zerschlug Whisky- und Bierfässer.

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  Ein Gangster, der in die Geschichte eingegangen ist: Al Capone (r) schaut sich mit dem ehemaligen Stadtrat A.J. Prignanoan ein Football-Spiel in Chicago an. Capone verdiente üppig mit Schmuggel und sogenannten „Speakeseasies“, „Flüsterkneipen“ mit illegalem Alkoholausschank.

Ein Gangster, der in die Geschichte eingegangen ist: Al Capone (r) schaut sich mit dem ehemaligen Stadtrat A.J. Prignanoan ein Football-Spiel in Chicago an. Capone verdiente üppig mit Schmuggel und sogenannten „Speakeseasies“, „Flüsterkneipen“ mit illegalem Alkoholausschank.

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Und obendrein den Verwaltungsapparat durch eine Flut an Bestechungsgeldern korrumpiert. Als das Kapitel 1933 beendet wurde, genügte dem Kongress in Washington ein einziger Satz: „Der 18. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten ist hiermit aufgehoben.“

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