Pressefreiheit – ein Luxusgut?

Dresden/Berlin · Auf Initiative der Vereinten Nationen ist der heutige 3. Mai der Tag der Pressefreiheit. Die Bundesrepublik galt lange Jahre als Vorbild. Doch inzwischen werden Journalisten auch in Deutschland immer mehr zum Ziel einer „Front von Wütenden“.

 Ai Weiwei hat seinen Blick auf die Pressefreiheit in diesem Kunstwerk verewigt. Foto: BDZV

Ai Weiwei hat seinen Blick auf die Pressefreiheit in diesem Kunstwerk verewigt. Foto: BDZV

Foto: BDZV

. "Lügenpresse, Lügenpresse", grölt die Menge aggressiv. Nicht nur montagabends in Dresden. Bundesweit haben im Zuge der fremden-, islam- oder asylfeindlichen Proteste auch die offen bekundeten Anfeindungen gegen die sogenannten "Staatsmedien der Merkel-Diktatur" zugenommen. Längst ist bei Kundgebungen wie denen der Dresdner Pegida der Protest gegen die Asylpolitik der Bundesregierung zur Fundamentalkritik am System geraten. Verstanden als Teil der als "Volksverräter" empfundenen Macht-Elite, werden auch Vertreter der Medien mehr und mehr zur Zielscheibe für Hass und Hetze. Sachlich begründete und berechtigte Medienkritik bleibt meist dahinter zurück.

"Die sich radikalisierende Medienverdrossenheit und Politikverdrossenheit, die wir im Moment erleben, hat Journalisten und Politiker in eine neuartige Gemeinschaft der Diffamierten hin ein manövriert", analysiert der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen die Lage. "Auf einmal sehen sich Journalisten und Politiker, die sich sonst wechselseitig beharken, gemeinsam einer Front von Wütenden gegenüber." Doch während Politiker Wut-Kundgebungen meist fernbleiben, stehen Reporter mittendrin und berichten. Die Folge: Nicht nur Beschimpfungen und Bedrohungen nehmen zu. Auch die Gewalt gegen Journalisten . Mindestens elf tätliche Angriffe verzeichnete das Leipziger Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) schon in diesem Jahr.

In einem dieser Fälle traf es die sächsische Landeskorrespondentin des Nachrichtensenders MDR Info, Ine Dippmann. Als sie im Januar in Leipzig bei der Jubiläumskundgebung des örtlichen Pegida-Ablegers den Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann mit der Kamera ihres Reporterhandys ablichten wollte, wurde ihr das Telefon von hinten aus der Hand geschlagen. "Und dann kam sehr schnell ein zweiter Schlag, der mich im Gesicht getroffen hat. Mit dem Handrücken auf die Wange", erinnert sie sich. Und auch daran, wie fassungslos sie war. Die Organisation Reporter ohne Grenzen , die regelmäßig im Vorfeld des Tags der Pressefreiheit am 3. Mai über die Arbeitsbedingungen für Journalisten in der Welt berichtet, betrachtet die Entwicklung in Deutschland mit Sorge. "Grundsätzlich kann man sagen, dass sich die Pressefreiheit mit Sicherheit verschlechtert hat. In unserem Ranking werden ja verschiedene Faktoren berücksichtigt. Und Gewalt gegen Journalisten ist natürlich ein wichtiger Faktor", sagt Vorstandssprecherin Britta Hilpert. Schon im vergangenen Jahr hätten die Übergriffe zugenommen. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland daher um vier Plätze auf Rang 16 abgerutscht.

Dennoch steht Deutschland vergleichsweise gut da. TV-Satiriker Jan Böhmermann hat mit seinem Gedicht "Schmähkritik" auch in Deutschland seit Anfang April eine intensive Debatte über Pressefreiheit ausgelöst. Nach seinem Fernsehbeitrag über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit zahlreichen Formulierungen, die unter die Gürtellinie zielten, hatte die türkische Regierung rechtliche Konsequenzen auf Grundlage des Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs gefordert, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe stellt.

Derweil beobachtet Reporter ohne Grenzen in vielen Teilen der Welt, dass es für Journalisten immer schwieriger wird, ihre Arbeit zu machen. Grund dafür sind autokratische Tendenzen in Ländern wie Ägypten, Russland oder der Türkei, aber auch bewaffnete Konflikte wie in Libyen, Burundi und dem Jemen. Auf den letzten drei Plätzen von 180 Ländern landeten die Diktaturen Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea.

Unter Deutschlands Nachbarn hat es in Polen die deutlichste Verschlechterung in Sachen Pressefreiheit gegeben. Das Land fiel im Vergleich zum Vorjahr um 29 Plätze auf Rang 47 ab. Ende Dezember hatte die polnische Regierung ein Mediengesetz verabschiedet, nach dem der Schatzminister, also ein Regierungsmitglied, über die Besetzung von Führungspositionen in öffentlich-rechtlichen Medien entscheiden darf. Kritiker fürchten, sie sollen auf Linie gebracht und zu Staatsmedien gemacht werden und sehen die Entwicklung zu Lasten der Pressefreiheit in Polen noch nicht am Ende.

 Künstler Ai Weiwei wurde wegen Kritik am politischen System Chinas geächtet. Foto: dpa

Künstler Ai Weiwei wurde wegen Kritik am politischen System Chinas geächtet. Foto: dpa

Foto: dpa

Am diesjährigen Tag der Pressefreiheit gibt es für viele türkische Journalisten nicht viel zu feiern. Festnahmen, Gerichtsprozesse und Haftstrafen gehören mittlerweile für regierungskritische Beobachter zum Berufsrisiko. Der Druck kommt mitunter von ganz oben: Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich hat Strafanzeige gegen den Chefredakteur der Oppositionszeitung "Cumhuriyet" und den Leiter des Hauptstadtbüros des Blattes wegen angeblicher Spionage gestellt. Ihnen droht lebenslange Haft. Mehrere regierungskritische Zeitungen sind in den vergangenen Monaten von der Regierung übernommen worden, Reporter von Blättern, die nicht auf Erdogan-Linie sind, erhalten keinen Zugang zu Pressekonferenzen oder anderen Ereignissen in Ankara. Mexiko ist eines der gefährlichsten Länder weltweit für Journalisten . Im vergangenen Jahr wurden dort laut Reporter ohne Grenzen acht Medienschaffende getötet, seit Anfang 2016 schon mindestens sechs. Auf der Rangliste der Pressefreiheit liegt Mexiko auf Platz 149 von 180 Ländern. Dabei gibt es durchaus kritischen Journalismus in Mexiko. Folter durch Soldaten und Polizisten, krumme Geschäfte der Präsidentenfamilie, Korruption, Massaker der Kartelle - die mexikanischen Medien zerren so einiges ans Licht. Allerdings ist die Arbeit mit hohem persönlichem Risiko für die Journalisten verbunden. Nach Angaben der Journalistengruppe Artículo 19 gelten 23 Reporter als vermisst.

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