Premiere beim Sudetendeutschen Tag

Nürnberg · Einst wurden sie selbst vertrieben. Beim Treffen der Sudetendeutschen steht das Thema Flucht und Flüchtlinge in Europa im Mittelpunkt. Längst geben nicht mehr rückwärtsgewandte Nationalisten den Ton an.

 Der tschechische Kulturminister Daniel Herman erntete auf dem Sudetentreffen viele Sympathien. Foto: dpa

Der tschechische Kulturminister Daniel Herman erntete auf dem Sudetentreffen viele Sympathien. Foto: dpa

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Tschechiens Kulturminister Daniel Herman hat als erster offizieller Vertreter seiner Regierung bei einem Sudetendeutschen Tag für ein größeres Miteinander in Europa geworben. "Es ist eine Zukunftsangst in unsere Gesellschaft eingekehrt", sagte Herman in Nürnberg . An der Schwelle Europas stünden auch Menschen, die die gemeinsamen europäischen Werte nicht teilten. "Wir müssen versuchen, stetig an unserem gemeinsamen europäischen Haus weiterzubauen. Wir müssen bereit sein, es gegen jeden zu verteidigen, der erneut versucht, Angst und Hass zu säen", forderte Herman in seiner auf Deutsch gehaltenen Rede.

Ausdrücklich nahm er beim traditionellen Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Bezug auf den jahrzehntelangen Streit über die Vergangenheit. "Ich nehme die Worte des Bedauerns für Verbrechen an, die von einigen Ihrer Vorfahren verübt wurden. Zugleich bedauere ich zutiefst, was vor sieben Jahrzehnten von einigen unserer Vorfahren begangen wurde", sagte Herman. 2013 hatte auch schon Tschechiens damaliger Regierungschef Petr Necas die Vertreibungen bedauert, jedoch nicht direkt vor den Sudetendeutschen, sondern bei einer Rede im bayerischen Landtag. Als Sudetendeutsche bezeichnen sich die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der damaligen Tschechoslowakei vertriebenen Deutschen.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer wertete Hermans Besuchspremiere als "historisch". Ein solcher Besuch sei vor zehn Jahren undenkbar gewesen, sagte der CSU-Vorsitzende. Zugleich forderte er mehr Dialog zum Erhalt der europäischen Idee. Der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt (CSU ), sagte: "Dieses Europa ist zutiefst gefährdet durch Nationalismus und Renationalisierung." Gerade deshalb müssten sich die überzeugten Europäer aller Länder zusammentun. "Wir Sudetendeutsche haben dabei eine ganz besondere Brückenfunktion."

Meinung:

Durchbruch nach 70 Jahren

Von SZ-Mitarbeiter Ralf Müller

Auch wenn die politische Lage in Europa wenig Anlass zum Optimismus bietet, gibt es doch Hoffnungsschimmer. Einer erleuchtete an Pfingsten die Nürnberger Frankenhalle, wo sich die Sudetendeutsche Volksgruppe versammelte. So erfüllte sich ein jahrzehntelang gehegter Wunsch der Landsmannschaft: Prag entsandte einen offiziellen Regierungsvertreter. Und Kulturminister Daniel Herman eroberte die Sympathie der Zuhörer. Allein die Anrede "Liebe Landsleute" hatte etwas Epochales. Und Sudeten-Sprecher Posselt verfolgte weiter sein Ziel, die Landsmannschaft, die lange als Sammelbecken von Rückwärtsgewandten verschrien war, zum paneuropäischen "Brückenbauer" zu machen.

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