Krankenhäuser wegen Corona am Limit Portugal wird von einem Virus-Tsunami überrollt

Lissabon · Immer mehr an Covid-19 erkrankte Patienten sterben, weil auf den Intensivstationen keine Betten mehr frei sind. Nun soll die Bundeswehr aushelfen.

 Vor vielen Krankenhäusern in Portugal stauen sich die Ambulanzen. Sie müssen wegen überfüllter Krankenhäuser stundenlang darauf warten, ihre Patienten zu übergeben.

Vor vielen Krankenhäusern in Portugal stauen sich die Ambulanzen. Sie müssen wegen überfüllter Krankenhäuser stundenlang darauf warten, ihre Patienten zu übergeben.

Foto: dpa/Armando Franca

Die Leichenhalle des Krankenhauses Barreiro Montijo in Lissabon ist voll. So voll, dass nun vor dem Hospital Kühlcontainer aufgestellt wurden, um die vielen Coronatoten bis zur Bestattung aufzubewahren. Immer mehr an Covid-19 erkrankte Menschen sterben in Portugal, weil es auf den Intensivstation keine freien Betten mehr gibt. Man müsse inzwischen vielerorts die Regeln der Katastrophenmedizin – also die „Triage“ – anwenden, sagt Miguel Guimarães, Chef der Ärztekammer. Mit dramatischen Folgen: Wenn es für zwei Notfallpatienten nur ein Beatmungsgerät gibt, hat derjenige mit den besseren Überlebenschancen Vorrang. „Die Krankenhäuser befinden sich am Limit“, räumt Gesundheitsministerin Marta Temido ein. Vor vielen Hospitälern stauen sich die Ambulanzen, die wegen der Überfüllung der Krankenhäuser oftmals stundenlang warten müssen, bis sie ihre Covid-19-Patienten an die Notaufnahme übergeben können. Deswegen werden nun im ganzen Land Feldlazarette aufgebaut. Allein zwei provisorische Hospitäler wurden in der Hauptstadt Lissabon installiert: auf dem Unicampus und auf dem Trainingsareal des nationalen Fußballverbandes.

Nach einem Hilferuf der portugiesischen Regierung an die EU will die deutsche Bundeswehr am Mittwoch medizinisches Personal und Material nach Portugal schicken. Es sei geplant, dem EU-Partner 26 Sanitätskräfte sowie 150 Feldkrankenbetten und 50 Beatmungsgeräte zu stellen, teilte das Verteidigungsministerium den Obleuten im Bundestag mit. Das Notfallteam soll zunächst drei Wochen in Portugal bleiben, heißt es. Auch Österreich kündigte Hilfe für Portugal an.

Im Frühjahr, während der ersten Coronawelle, war Portugal noch als Musterknabe gefeiert worden. Als Land, das dank einer disziplinierten Bevölkerung und vorausschauenden Regierung im Anti-Viren-Kampf offenbar alles richtig gemacht hatte.

Doch möglicherweise hat die Nation am Südwestzipfel Europas zu sehr darauf vertraut, dass sie auch diese neue Viruswelle nur am Rande streifen würde. Das war ein Trugschluss: Portugal wird derzeit von einem wahren Corona-Tsunami überrollt.

Ein Tsunami, der das EU-Land am Atlantik über Nacht zum schlimmsten Hotspot Europas und sogar der Welt machte. Die Ansteckungskurve geht steil nach oben. Nach Berechnungen der amerikanischen Johns Hopkins Universität schoss die Sieben-Tage-Häufigkeit auf über 840 Fälle pro 100 000 Einwohner. Das ist ein Vielfaches dessen, was derzeit in Deutschland, Österreich oder der Schweiz registriert wird.

Täglich kommen momentan im Schnitt mehr als 12 000 neue Infektionsfälle hinzu. Zudem wurden zuletzt nahezu 300 Coronatote in 24 Stunden gemeldet. Höchststände und absolute Horrorzahlen für dieses vergleichsweise kleine Land, in dem 10,3 Millionen Menschen leben. Und das zu den beliebtesten Urlaubsländern Europas zählt.

Die Situation sei „dramatisch“, bekennt der sozialistische Regierungschef António Costa. Auch weil die höchst ansteckende britische Virusvariante als Infektionstreiber wirke. Nach Angaben des portugiesischen Gesundheitsministeriums hat die britische Mutation bereits einen Anteil von etwa 30 Prozent an allen Fällen, in der Hauptstadtregion Lissabon seien es bereits bis zu 50 Prozent.

Angesichts des neuen Corona-Dramas im Land gibt Premier Costa zu, dass es ein Fehler war, in den letzten Monaten die Zügel locker zu lassen. Mittlerweile hat die Regierung umgesteuert und das Land in einen harten Lockdown geschickt: Gastronomie, Einzelhandel und Schulen sind jetzt geschlossen. Die Menschen dürfen nur zum Aufsuchen des Supermarktes, der Arbeitsstätte und für kleine Spaziergänge das Haus verlassen.

Beim großen iberischen Nachbarn Spanien mit 47,3 Millionen Bewohnern nahm die ebenfalls sehr laxe Anti-Corona-Politik einen ähnlich verhängnisvollen Ausgang. Das spanische Königreich liegt im globalen Corona-Ranking der Johns Hopkins Universität auf Platz drei – hinter Portugal, Montenegro und Israel.

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